Zu viel, zu wenig, genau richtig: Wie lassen sich Portionsgrößen genauer einschätzen?
Autor/in: Dr. oec. troph. Christina Bächle,
Redaktion: Dr. Bertil Kluthe
© Kluthe-Stiftung Ernährung und Gesundheit
Freitag, 27. Dezember 2013
Menschen neigen dazu, Portionsgrößen von Lebensmitteln zu unterschätzen. Eine XXL-Schokoladentafel wird häufig fast ebenso schnell verzehrt wie eine herkömmliche 100-Gramm-Tafel. Wiederholte Fehleinschätzungen können gewichtige Folgen haben. Weshalb schätzen Konsumenten Portionsgrößen tendenziell eher zu klein ein?
In einem internationalen Projekt suchten Wissenschaftler der Business School INSEAD in Frankreich gemeinsam mit dem Center for Economics and Neuroscience, dem Life & Brain Zentrum, dem Forschungsinstitut für Kinderernährung (FKE) an der Universität Bonn sowie der Rotterdam School of Management nach Antworten. Drei Experimente mit Probanden aus verschiedenen Altersklassen sollten Aufschluss darüber geben, was unsere Fähigkeit, Portionsgrößen einzuschätzen, beeinflusst.
Im ersten Experiment sollten 84 Grundschüler die Anzahl von Schokoladenstückchen und kleinen Karotten auf einem Teller schätzen. Zur Einführung zeigten die Forscher den Kindern Bilder von Tellern mit beiden Lebensmitteln, wobei sie die Anzahl nannten. Dann sollten die Kinder zunehmende Mengen auf den nächsten Bildern selbst schätzen. „Je größer die Portionen wurden, desto mehr unterschätzten die Grundschüler die Schokoladen- und Karottenmengen„, erläutert der Leiter der NeuroImaging-Forschungsgruppe Prof. Dr. Bernd Weber. Die Schüler schätzten die Portionen häufig nur halb so groß, wie sie tatsächlich waren.
Auch Erwachsene unterschätzen Portionsgrößen, wie das nächste Experiment zeigte. 115 französische Studenten wurden gebeten, das Gewicht von verschiedenen Gummibärchen-Packungen zu schätzen. Laut Verpackung handelte es sich dabei entweder um eine ungesunde Variante oder um ein Produkt mit „wertvollen Omega-3-Fettsäuren und Vitaminen“. Ein Teil der Studenten durfte die Gummibärchen im Vorfeld kosten, wodurch das Verlangen danach gesteigert werden sollte. Hier schätzten die Teilnehmer das Gewicht am besten, die vorher probieren durften und die ungesunde Gummibärchenvariante bekamen.
In ihrem dritten Experiment wandten sich die Wissenschaftler an 116 Männer und Frauen aus einem Rotterdamer Fitness-Studio. Schätzen Menschen, die auf ihre Gesundheit achten, Portionsgrößen besser ein? Nachdem die Teilnehmer zu ihrem Gesundheitsbewusstsein befragt worden waren, sollten sie Portionsgrößen von fettreduzierten und normalen Chips schätzen. Am besten schätzten die gesundheitsbewussten Probanden und zwar, ebenso wie im vorherigen Experiment, bei den normalen „ungesunden“ Chips.
Mit ihrer Beobachtung, dass Menschen Portionsgrößen offenbar dann besonders gut einschätzen können, wenn sie ein Lebensmittel als verlockend empfinden und zugleich wissen, dass es ungesund ist, leisten die Wissenschaftlicher einen wichtigen Beitrag für zukünftige Ernährungskampagnen. Laut Prof. Weber funktioniert die derzeitige Strategie, durch Hinweise auf die Folgen ungesunder Ernährung einseitig auf Abschreckung zu setzen, nach den jetzt vorliegenden Resultaten nicht. Er empfiehlt, bei Ernährungstipps nicht nur die negativen Folgen zu süßer und zu fetthaltiger Lebensmittel hervorzuheben, sondern auch das positive Gefühl, wenn gesunde Lebensmittel schmecken. Durch diese Doppelstrategie könnte der tatsächliche Portionsbedarf besser abgeschätzt werden.
Quellen einblenden
- Universität Bonn (2013): Konsumenten greifen zu viel zu großen Portionen. Pressemitteilung vom 07.10.2013
- Y. Cornil, N. Orderbayeva, U. Kaiser, B. Weber, P. Chandon (2013): The acuity of vice: Attitude ambivalence improves visual sensitivity to increasing portion sizes. Journal of Consumer Psychology, Online-Vorabveröffentlichung.
verfasst von Dr. oec. troph. Christina Bächle am 27. Dezember 2013 um 08:49
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