Atemtests zur Diagnose und zum Monitoring eines Diabetes mellitus – in der Zukunft möglich?
Autor/in: Sabrina Rauth,
Redaktion: Dr. Bertil Kluthe
© Kluthe-Stiftung Ernährung und Gesundheit
Freitag, 30. Dezember 2011
Fingerkuppen, die vom Einstechen stark verhornt sind – eine Folge der unzähligen Blutzucker-Messungen, die vielen Diabetikern nur allzu gut bekannt ist. Viele Diabetiker müssen täglich mehrmals ihren Blutzucker prüfen. Vielfach werden Messungen vernachlässigt, weil die Stiche als äußerst unangenehm empfunden werden. Eine weniger eingreifende Methode wäre hier mehr als willkommen. Doch wie könnte eine Alternative aussehen?
Diagnosen über den Atem sind seit Alters her gebräuchlich. Bei einer Urämie riecht der Atem fischig, faulig-muffig mutet er im Fall einer Lebererkrankung an und ein Aceton-Geruch nach sich zersetzenden Äpfeln deutet auf einen Diabetes hin. Letzteres ergibt sich dadurch, dass sich bei einer diabetischen Stoffwechsellage die Zusammensetzung der Atemgase verändert. Bis es dagegen soweit kommt, dass Aceton im Atem riechbar wird, hat der Diabetiker bereits, was keineswegs gewollt ist, eine fortgeschrittene Ketoacidose (1).
Wie hängt Aceton nun eigentlich mit einem Diabetes zusammen? Durch einen Mangel an Insulin kann resorbierte Glucose nicht mehr aus dem Blut in die Zellen aufgenommen werden. Kohlenhydrate, deren zentrales Abbauprodukt die Glucose ist, stehen daher nicht länger als Energiequelle zur Verfügung. Deshalb muss der Körper auf eine andere Ressource zurückgreifen. Bleiben die beiden Makronährstoffe Eiweiß und Fett. Da Eiweiß im Körper eher knapp ist, geht dieser vor allem an seine Hauptreserve: Fett. Und beim Fettabbau entsteht eben auch Aceton, das sich dann in der Atemluft wiederfindet. Allerdings liegt die Substanz nur in geringen Mengen vor: Beim Ausatmen besteht der überwiegende Teil der Atemgase aus Stickstoff (78 Prozent), Sauerstoff (16 Prozent) und Kohlendioxid (vier Prozent). Aceton findet sich unter den verbleibenden zwei Prozent.
Technologische Fortschritte ermöglichen inzwischen den Einsatz viel präziserer Methoden mit weit niedrigerer Wahrnehmungsschwelle als die des „Geruchstests“. Dadurch konnte der Atemtest als Nachweismethode ebenfalls weiterentwickelt werden und sich verbreiten. Einige Beispiele für seine Anwendung: Der Alkoholkonsum lässt sich via Atemtest bestimmen, manche Lebensmittel-Intoleranzen wie eine Fructose- oder Lactose-Intoleranz werden mit Hilfe solcher Tests überprüft. Auch zum Nachweis von Helicobacter pylori-Infektionen und von Asthma finden Atemtests Verwendung. Könnte also ein Atemtest genauso eine Diabetes-Diagnose oder, vielleicht sogar eine zuverlässige Blutzucker-Bestimmung möglich machen? Denkbar ist es durchaus, Forschungen dazu laufen.
Züricher Wissenschaftler um Professor Sotiris Pratsinis haben ein Gerät entwickelt, mit dem sich Aceton in kleinsten Konzentrationen (ppb-Bereich) nachweisen lässt. Zur Messung dient ein Halbleiter aus Silikon-versetztem Wolframoxid. Trifft Acetons auf das Wolframoxid, dann kommt es zu einer Reaktion und der Widerstand des Wolframoxids sinkt, was wiederum die Leitfähigkeit erhöht. Dadurch fließt mehr Strom und ein Signal wird verstärkt. Mit einem solchen Gerät könnte laut Aussage der Forscher über eine erhöhte Aceton-Ausscheidung die Diagnose eines Typ I-Diabetes oder die einer Ketoacidose gestellt werden.
Im Frühjahr nächsten Jahres soll ein sechsmonatiges Projekt mit Kindern, die an Typ 1-Diabetes erkrankt sind, starten. Geplant wird es von einem Krankenhaus in Oxfordshire (England) in Zusammenarbeit mit der Firma Oxford Medical Diagnostics, die die Messgeräte bereitstellt. Auch hier setzt man auf eine Messung des Acetons. Man erhofft sich sogar über die Menge des ausgeatmeten Acetons den Insulin-Bedarf abschätzen zu können. Parallel zu der Aceton-Messung wird der Blutzucker auf klassische Art bestimmt, um die unterschiedlich erhaltenen Werte über einen Vergleich in Beziehung zu setzen.
Doch lässt Aceton als einziges untersuchtes Atemgas zuverlässige Rückschlüsse auf die Höhe des Blutzuckers zu? Hier scheiden sich die Geister. Aceton ist nur eines von vielen Gasen, die sich bei einem Diabetes anteilig in der Atemluft verändern. Hinzu kommt, dass individuelle Unterschiede und die Ernährung die Aceton-Menge beeinflussen können, die über die Atemluft ausgeschieden wird. So führt z. B. eine Kohlenhydrat-arme Ernährung oder auch eine Fastenphase zu erhöhten Aceton-Werten. Außerdem treten abhängig von der Tageszeit Unterschiede auf. Als alleiniges Mittel zur zur Blutzucker-Kontrolle erscheint Aceton daher eher unsicher.
Pietro Galasetti, Professor für Pädiatrie und Pharmakologie an der Universität Kalifornien, Irvine, forscht schon längere Zeit auf diesem Gebiet. Auch Galasetti schätzt den bloßen Bezug auf Aceton als zu einfach ein. Der Forscher arbeitet mit der ADA, der amerikanischen Diabetes Gesellschaft, zusammen, um einen mathematischen Algorithmus zu finden. Mithilfe dieses Algorithmus soll eine zuverlässig Bestimmung des Blutzuckerspiegels über mehrere Atemgase möglich werden. In einer kürzlich veröffentlichten Arbeit gab das Team um Galasetti zwei Atemgas-Kombinationen bekannt, die nach ihren Ergebnissen beide die Höhe des Blutzuckerspiegels gut widerspiegeln könnten. Die eine Gruppe umfasst Aceton, Methylnitrat, Ethanol und Ethylbenzen (r = 0,883) (2) während die andere Gruppe aus 2-Penyl-Nitrat, Propan, Methanol und Aceton (r = 0,869) besteht. Über diese Kombinationen lässt sich, nach Bewertung der Forscher, eine Blutzuckerbestimmung sowohl bei Gesunden als auch bei Typ 1-Diabetikern vornehmen.
Könnte auf dieser Grundlage ein kostengünstiges, tragbares Messgerät entwickelt werden, würde dies wahrscheinlich einen großen Schritt in Richtung Diabetes-Einstellung via Atemtest bedeuten.
(1) Die Ketoacidose ist eine Form der diabetischen Stoffwechselentgleisung.
(2) r= Korrelationskoeffizient; Maß für den Zusammenhang zwischen zwei Größen. Der Koeffizient kann werte zwischen -1 und +1 annehmen. Ein Wert von > 0,8 kann als hohe Korrelation eingestuft werden.
Quellen einblenden
- Manolls A: The Diagnostic Potential of Breath Analysis. CLIN. CHEM. 29/1, 5-15 (1983)
- Curry A: A Breath Test for Blood Glucose. Diabetes Forecast, Jan 2010
- ETH Zürich (6.5.2010): Keinen Stich mehr in den Finger
- Minh TD, Oliver SR, Ngo J, Flores R, Midyett J, Meinardi S, Carlson MK, Rowland FS, Blake DR, Galassetti PR: Noninvasive measurement of plasma glucose from exhaled breath in healthy and type 1 diabetic subjects. Am J Physiol Endocrinol Metab. 2011 Jun;300(6):E1166-75. Epub 2011 Apr 5.
- Spanel P, Dryahina K, Rejšková A, Chippendale TW, Smith D: Breath acetone concentration; biological variability and the influence of diet. Physiol Meas. 2011 Aug;32(8):N23-31. Epub 2011 Jul 1.
- BBC News (4.11.2011): Diabetes breath test trials on Oxfordshire children
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- Eltern von Kindern mit Diabetes Typ 1 fürchten oftmals eine Unterzuckerung
- Deutsches Ärzteblatt (07.03.2012): Früherkennung von Krankheiten über Atemanalysen rückt näher
verfasst von Sabrina Rauth am 30. Dezember 2011 um 08:43
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