Bei Verdacht auf eine Nahrungsmittelunverträglichkeit: Selbsttests nicht empfehlenswert

Autor/in: , Redaktion: Dr. Bertil Kluthe
© Kluthe-Stiftung Ernährung und Gesundheit

Dienstag, 14. Juni 2016

Die Werbung weiß es längst: „Viele Menschen leiden ohne es zu wissen an Nahrungsmittelunverträglichkeiten und -intoleranzen.“ Dort kennt man auch eine einfache Lösung: Selbsttests für Zuhause. Ärzte und Ernährungswissenschaftler stehen solchen Tests allerdings aus mehreren Gründen kritisch gegenüber.

Es könnte so einfach sein: Statt langer Wartezeiten auf den nächsten Arzttermin, voller Wartezimmer und gestresster Ärzte abends von der Couch aus übers Internet einen „Allergie-Check„, „Lebensmittelreaktionstest“ oder „Nahrungsunverträglichkeitstest“ bestellen, diesen mit einem Tropfen Fingerblut durchführen und direkt an das Labor der Anbieterfirma schicken. Wenige Tage später ist das Ergebnis da und ich weiß schwarz auf weiß, welche Lebensmittel ich „nicht vertrage“ und besser in Zukunft meiden sollte.

Einfach schon, ja, aber…

… solche Tests für die häusliche Selbstdiagnose beruhen auf einem Nachweis der Antikörper Immunglobulin G (IgG) beziehungsweise Immunglobulin G4 (IgG4). Damit lassen sich allenfalls Nahrungsmittelunverträglichkeiten, sogenannte „nicht-allergische Hypersensitivitäten„, nachweisen, jedoch keine Allergien. Denn Lebensmittelallergien werden nicht über IgG oder IgG4, sondern über IgE vermittelt.

Die allergologischen Fachgesellschaften warnen in ihrer aktuellen Leitlinie auch vor vorschnellen Interpretationen der Ergebnisse in Bezug auf Nahrungsmittelunverträglichkeiten: „IgG4-Antikörper gegen Nahrungsmittel sind […] Ausdruck der natürlichen (physiologischen) Immunantwort des Menschen nach wiederholtem Kontakt mit Nahrungsmittelbestandteilen. Daher ist der allergenspezifische Nachweis von IgG- oder IgG4-Antikörpern gegen Nahrungsmittel zur Abklärung und Diagnostik von Nahrungsmittelunverträglichkeiten ungeeignet und strikt abzulehnen„, ist darin zu lesen. Und weiter: „Für keine der genannten Erkrankungen oder Gesundheitsstörungen liegen gesicherte Hinweise in Form kontrollierter, aussagekräftiger Studien vor, dass ein Nachweis von Serum-IgG- oder -IgG4-Antikörpern gegen Nahrungsmittel einen diagnostischen oder pathologischen Wert besitzt.

Ärztlich durchgeführte IgE-Bluttests auf eine Lebensmittelallergie sollten nur bei konkreten Beschwerden durchgeführt werden und stets eine prüfende Eliminationsdiät nach sich ziehen. Durch die Auslassung jedes im Bluttest auffälligen Lebensmittels und anschließende gezielte Provokation kann der Verdacht auf eine oder mehrere Lebensmittelallergien überprüft werden. Da nicht-allergische Hypersensitivitäten sich nach heutigem Kenntnisstand nicht per Bluttest nachweisen lassen, besteht der erste Schritt zur Diagnose in einer gründlichen Anamnese durch einen Allergologen. Anschließend sollten in Verdacht stehende Lebensmittel ebenso wie bei einer Lebensmittelallergie durch eine ernährungstherapeutisch begleitete Eliminationsdiät mit spezifischer Provokation verifiziert werden.

Zurück zum Selbsttest via Internet. Hier werden üblicherweise ohne konkreten Verdacht über 60 bis 80 Lebensmittel auf ihre Verträglichkeit getestet. In den Augen von Experten ist dieses Vorgehen kontraproduktiv, da so häufig eine ganze Reihe an Lebensmittel positiv getestet werden, ohne dass eine anschließende Überprüfung der Verdachtsfälle per Elimination/Provokation vorgenommen wird. Die pauschale Empfehlung, all diese Lebensmittel zukünftig zu meiden, kann die Lebensmittelauswahl drastisch einschränken und einen Nährstoffmangel begünstigen, wenn beispielsweise ein Patient mit Darmbeschwerden laut Selbsttest in Zukunft zugleich Weizen, Ei, Soja, Milch, Schweinefleisch, Apfel und Banane meiden soll.

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verfasst von am 14. Juni 2016 um 09:17

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