Bioenergie contra Nahrungsmittelerzeugung – wer setzt sich durch?
Autor/in: Dr. oec. troph. Christina Bächle,
Redaktion: Dr. Bertil Kluthe
© Kluthe-Stiftung Ernährung und Gesundheit
Montag, 27. August 2012
Man muss nicht hellsehen können, um zu wissen, wie die Benzinpreise sich zum Ferienbeginn verhalten. Doch auch wenn man von diesen kurzfristigen Preisspitzen absieht, gibt es für den Benzin- und Rohölpreis mittel- bis langfristig nur eine Richtung: nach oben. Je höher der Preis steigt, desto lukrativer ist die Erzeugung von Bioenergie aus nachwachsenden Rohstoffen. Kritiker warnen vor den Konsequenzen für die Nahrungsmittelversorgung. Auch der Staat hat seine Hand mit im Spiel.
Laut Dr. Henning Ehlers, dem Geschäftsführer des Deutschen Raiffeisenverbandes (DRV), steigt der Maisanbau für die Biogasproduktion in Deutschland kontinuierlich an und verringert das Getreideangebot in diesem Jahr um rund vier Millionen Tonnen. Eine beachtliche Menge, wenn man bedenkt, dass damit ein Zehntel der ursprünglichen Erntemenge an Getreide wegfällt. Unterm Strich führt die Biogasproduktion damit dazu, dass der Getreidebedarf hierzulande nicht mehr durch die Eigenproduktion gedeckt werden kann: Dem Durchschnittsbedarf von 41,8 Millionen Tonnen steht nach Schätzungen des DRV nur eine Erntemenge von 41,5 Millionen Tonnen gegenüber.
Das rechnerische Defizit von 0,3 Millionen Tonnen erscheint zwar bei der Größenordnung der Zahlen als nicht besonders hoch, hat aber dennoch ernstzunehmende Konsequenzen. Ehlers kritisiert die politisch geförderte Verknappung an Getreide, die dazu führt, dass vermehrt Getreideersatz, z. B. Soja, importiert werden muss. Hierdurch steigen die Futterkosten, die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Milch- und Veredelungswirtschaft sinkt. Auch die Verbraucher bekommen die erhöhten Produktionskosten zu spüren – in Form von Preissteigerungen heimischer Erzeugnisse an der Ladentheke und einem erhöhten Angebot an im Ausland erzeugten Lebensmitteln im Billigpreissegment. Außerdem ist importierte Soja meist gentechnisch verändert, sodass vermehrt gentechnisch veränderte Erzeugnisse im Handel zu erwarten sind.
Zur Entschärfung der derzeit angespannten Versorgungslage rät Ehlers, gezielt züchterische Fortschritte zur Produktivitätssteigerung im Pflanzenbau zu fördern und zu nutzen und von der bisherigen Nulltoleranz-Politik gegenüber gentechnisch veränderten Organismen abzuweichen. Ob eine solche Entwicklung allerdings, abgesehen von der wirtschaftlichen Perspektive, auch ökologisch sinnvoll und nachhaltig ist, sei dahingestellt. Vielleicht sollte erwogen werden, andere Formen von erneuerbaren Energien stärker zu fördern, die nicht mit der Nahrungsmittelerzeugung konkurrieren.
Quelle:
Deutscher Raiffeisenverband e. V. (2012): Getreideanbau wird in Deutschland verdrängt: Förderung der Bioenergie belastet Versorgungbilanz. Presse-Information 29/2012.
Zum Thema
- Spiegel.online (17.10.2012): Algen statt Raps. EU-Kommission will Biosprit-Boom stoppen
verfasst von Dr. oec. troph. Christina Bächle am 27. August 2012 um 11:39
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