Breiter Antibiotika-Einsatz bei Hähnchen

Autor/in: , Redaktion: Dr. Bertil Kluthe
© Kluthe-Stiftung Ernährung und Gesundheit

Mittwoch, 23. November 2011

Huhn
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Der Antibiotika-Einsatz in der Hähnchenmast übertrifft den bis jetzt angenommenen Umfang bei Weitem. Diese Feststellung geht auf eine Studie des nordrhein-westfälischen Landesamtes für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz zurück. Die erhobenen Daten stammen aus der ersten Hälfte des aktuellen Jahres. Sie weisen darauf hin, dass 96,4 Prozent der untersuchten Hähnchen verschiedenen Alters mit durchschnittlich drei in manchen Fällen mit bis zu acht verschiedenen Antibiotika behandelt wurden.

Nach Meinung von Johannes Remmel, dem nordrhein-westfälischen Verbraucherschutzminister und Auftraggeber der Studie, liegt hier entweder ein illegales Wachstumsdoping vor, „oder aber das System der Tiermast ist derart anfällig für Krankheiten, dass es ohne Antibiotika nicht mehr auskommt.“ In letzterem Fall spricht der Verbraucherminister von einem „Gesundheitsdoping“. Nach Einschätzung von Remmel können die nordrhein-westfälischen Ergebnisse stellvertretend für die Bundesrepublik stehen.

Die Anwendung von Antibiotika ist bei kranken Tiere durchaus legal. Für geschlachtetes Fleisch bestehen gesetzliche Vorgaben bzgl. der zulässigen Rückstände, die z. B. im Rahmen des Nationalen Rückstandskontrollplans geprüft werden. Antibiotika bekämpfen allerdings nicht nur Krankheitserreger, sie können auch das Wachstum von Geflügel beschleunigen, ein Einsatz, für den sie seit 2006 EU-weit gesetzlich verboten sind. Die nordrhein-westfälische Studie wies nach, dass in knapp über der Hälfte der Fälle Antibiotika nur ein bis zwei Tage lang verwendet wurde.

Hier liegt die Vermutung nahe, dass trotz des gesetzlichen Verbots ein Geflügel-Doping unternommen wurde. Durch kurzfristig angewendete Antibiotika werden vorhandene krank machende Bakterien nicht vollständig abgetötet und können sich an das Medikament anpassen: Sie werden resistent. Diese Resistenz übertragen sie auf nachfolgende Bakteriengenerationen, wodurch die mühsam entwickelten Medikamente ihre Wirksamkeit verlieren. Ein Antibiotika-Gebrauch sollte aus dem genannten Grund ausschließlich dem Krankheitsfall vorbehalten bleiben.

Wie konnte es zu dem gehäuften Einsatz kommen? Könnte eine Lücke in den staatlichen Vorgaben den großflächigen Einsatz begünstigt haben? Das Deutsche Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI), das eine bundesweite Datei zur Erfassung der Anzahl ausgelieferter Medikamente erstellt, schloss die Geflügelzüchtung bisher aus Gründen des Datenschutzes aus der genannten Datei aus. Eine Sachlage, die laut Bundesverbraucherministerin Aigner nun in der entsprechenden Verordnung geändert werden soll.

Was bedeutet das für Ihren Geflügel-Verzehr?

Der jährliche Pro-Kopf-Verbrauch an Geflügelfleisch in Deutschland beträgt 18 Kilogramm und liegt damit hinter Schweinefleisch (39 Kilogramm) auf Platz zwei. Geflügelfleisch verzeichnete in den letzten Jahren einen Kaufzuwachs. Es gilt als eher mageres Fleisch, das im Vergleich zu Schweine- oder Rindfleisch („rotes Fleisch“) weniger zur Entstehung von Krebs beitragen soll (Ausnahme: aus Geflügelfleisch hergestellte Wurstwaren). Sollte man – vor dem aktuellen Hintergrund – fortan weniger Geflügel essen?

Die nordrhein-westfälische Untersuchung schloss Masthähnchen verschiedenen Alters mit ein, es wurden also keineswegs nur schlachtreife Tiere untersucht. In Bezug auf eine erhöhte Rückstandsbelastung des Schlachtgeflügels spielt ein breiter Antibiotika-Einsatz bei jüngeren Tieren wahrscheinlich eine untergeordnete Rolle, solange die Werte zum Zeitpunkt der Schlachtung nicht die als gesundheitlich sicher eingestuften Höchstwerte überschreiten.

Es hängt wohl auch mit der Haltungsform (sehr viele Tiere auf wenig Platz, Kotkontakt u. ä.) zusammen, dass ein derart breiter Antibiotika-Einsatz vorgenommen wird. Unabhängig davon, welchem Zweck der kurzfristige Medikamenteneinsatz dient, die dadurch hervorgerufenen Resistenzen bleiben auf Dauer ein Problem.

Wenn Sie sicher gehen möchten, dass Ihr Geflügel möglichst wenig mit Antibiotika behandelt wurde, greifen Sie zu biologisch-erzeugten Produkten. In der ökologischen Tierhaltung sind Antibiotika laut gesetzlichen Vorgaben das letzte Mittel der Wahl, das erst zum Einsatz kommt, wenn eine Behandlung mit phytotherapeutischen, homöopathischen und anderen Erzeugnissen ungeeignet ist.

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verfasst von am 23. November 2011 um 14:14

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