Darmbakterien als Bindeglied zwischen ungünstiger Ernährung und Darmkrebs?
Autor/in: Dr. oec. troph. Christina Bächle,
Redaktion: Dr. Bertil Kluthe
© Kluthe-Stiftung Ernährung und Gesundheit
Dienstag, 4. Januar 2022
Dass ein Zusammenhang zwischen einer ungesunden Ernährung und einem erhöhten Darmkrebsrisiko besteht, lässt sich dank der Ergebnisse zahlreicher Kohortenstudien kaum bestreiten. Wie und in welchem Maß die Ernährung oder einzelne Nahrungsbestandteile das Risiko erhöhen, ist aber noch offen. Möglicherweise geschieht dies über Schwefelbakterien im Darm.
Menschen, die viel rotes Fleisch, Fast Food und zuckerhaltige Lebensmittel verzehren, erkranken häufiger an Darmkrebs. So weit, so gut. Doch wie ist der Zusammenhang zwischen der Ernährung und dem Darmkrebsrisiko zu erklären? Liegt es am fehlenden oder zu geringen Obst- und Gemüseverzehr beziehungsweise anderen assoziierten ungünstigen Lebensstilfaktoren wie Übergewicht oder Bewegungsmangel? Oder entstehen bei einer ungesunden Ernährung vermehrt darmschädigende Substanzen?
Mit der letzten Frage befasste sich ein Ärzteteam vom Massachusetts General Hospital und der Harvard Medical School in Boston um Dr. Yiqing Wang. Viele Nahrungsmittel, die mit einem erhöhten Darmkrebsrisiko einhergehen (beispielsweise proteinreiches Fleisch und Süßstoffe), enthalten organische Schwefelverbindungen. Diese werden von Darmmikroben unter anderem zu Schwefelwasserstoff abgebaut. Schwefelwasserstoff kann die DNA schädigen und damit das Krebsrisiko begünstigen. Demnach könnte eine schwefellastige Ernährungsweise dazu führen, dass die schwefelabbauenden Bakterien im Darm ideale Bedingungen vorfinden und sich fleißig vermehren. Solange ausreichend schwefelhaltige Verbindungen in der Nahrung vorhanden sind, würden sie besonders viel Schwefelwasserstoff produzieren und so das Darmkrebsrisiko erhöhen.
Soweit die Theorie. Um ihre Hypothese zu überprüfen, werteten Dr. Wang und ihre Kollegen Daten von drei großen Kohortenstudien aus den Jahren 1984 bis 2017 aus. An der Health Professionals Follow-up Studie nahmen überwiegend männliche Ärzte teil, während die Nurses Health Studien I und II ihren Fokus auf Krankenschwestern richteten. In allen drei Studien wurden die Probanden regelmäßig (üblicherweise alle zwei Jahre) zu ihren Ernährungs- und Lebensgewohnheiten befragt. Für die aktuelle Studie werteten die Wissenschaftler die Angaben von 46.550 Männern, die zu Beginn der Studie im Mittel 54 Jahre alt waren, und 168.247 Frauen im Alter von 43 Jahren aus.
Von einem Teil der männlichen und weiblichen Probanden lagen zusätzlich Stuhlproben aus den Jahren 2012 bis 2014 vor. Die Forscher wählten aus dieser Subgruppe 520 Personen repräsentativ aus und ließen je vier der damals eingefrorenen Stuhlproben auf den Gehalt an schwefelverarbeitenden Darmbakterien analysieren. Die Ergebnisse der Untersuchung korrelierten sie mit Angaben aus den Ernährungsfragebögen aus jener Zeit und kreierten so einen „Schwefelmikroben-Ernährungs-Score“.
Hier zeigte sich, dass niedrigkalorische Getränke, die üblicherweise mit Süßstoff gesüßt sind, am stärksten mit einem hohen Schwefelbakterienanteil assoziiert waren, gefolgt von stark verarbeiteten Fleischwaren, Butter, Bier, Pommes frites und rotem Fleisch. Am anderen Ende der Skala standen Obst, Gemüse, Vollkornprodukte und Hülsenfrüchte, die mit einem sehr geringen „Schwefelmikroben-Ernährungs-Score“ einhergingen. Jüngere Personen, Menschen mit einem hohen BMI (Body Mass Index, Körpermasseindex) sowie Personen, die sich wenig körperlich betätigten, hatten auffällig hohe Scorewerte.
Im nächsten Schritt berechneten Wang und ihre Kollegen den „Schwefelmikroben-Ernährungs-Score“ für alle anderen Teilnehmer. Frauen und Männer wurden getrennt anhand ihres Scores in fünf gleich große Gruppen eingeteilt. Mithilfe statistischer Analysen ermittelten die Wissenschaftler den Zusammenhang zwischen dem Schwefelbakterien-Score und neu diagnostiziertem Darmkrebs. Der Einfluss bekannter Störgrößen wie Alter, BMI, Begleiterkrankungen oder körperlicher Aktivität wurde dabei herausgerechnet.
Die durchschnittliche Beobachtungszeit jedes Probanden betrug 26 Jahre. In diesem Zeitraum wurde bei 3.217 Personen Darmkrebs diagnostiziert (1,5 Prozent). Verglichen mit der Gruppe mit dem niedrigsten (günstigsten) Schwefelbakterien-Score hatten die Probanden mit dem höchsten (ungünstigsten) Score ein um 27 Prozent erhöhtes Darmkrebsrisiko insgesamt sowie ein um 25 Prozent erhöhtes Risiko für distale (Enddarm-nahe) Tumore. Auch das Risiko für proximale Tumore war erhöht, dieses Ergebnis war jedoch nicht statistisch signifikant.
Ob ein hoher Schwefelbakterien-Anteil tatsächlich das Darmkrebsrisiko erhöht, bleibt derzeit offen. Denkbar ist auch, dass Schwefelbakterien lediglich Marker für eine ungesunde Ernährung sind und als solche auch mit dem Darmkrebsrisiko zusammenhängen.
Quellen einblenden
- Y. Wang, L. H. Nguyen, R. S. Mehta, et al. (2021): Association between the sulfur microbial diet and risk of colorectal cancer. JAMA Network Open 4: e2134308
verfasst von Dr. oec. troph. Christina Bächle am 4. Januar 2022 um 08:21
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