Die Toybox-Studie
Autor/in: Sabrina Rauth,
Redaktion: Dr. Bertil Kluthe
© Kluthe-Stiftung Ernährung und Gesundheit
Freitag, 25. Mai 2012
Mit Prävention im Vorschulalter starten
Eine frühe Prävention könnte bei Übergewicht und Fettleibigkeit besonders wirksam sein, glauben Experten, denn viele Wesenszüge und physiologische Prozesse formen sich bereits in der frühen Kindheit. Kinder sind in dieser Phase vergleichsweise offen für Neues. Erlernen sie zeitig ein gesundheitsförderndes Verhalten, könnte das Erlernte langfristig wirken, so die Hoffnungen.
Prävention – warum?
Bei frühem Übergewicht werden Kinder eher adipös. Kindliche Adipositas geht mit psychologischen, sozialen und physischen Nachteilen für die Kinder einher. Spätestens als Erwachsene sind viele übergewichtige Kinder (ein Drittel bis die Hälfte) fettleibig und haben damit verbunden ein erhöhtes Risiko für chronische Erkrankungen.
Entwicklung wirksamer Präventivstrategien
In der Toybox-Studie erarbeitet ein internationales Team von fünfzehn Forschern (1) ein europaweit einsetzbares Präventionsprogramm für vier- bis sechsjährige Vorschulkinder. Das Programm richtet sich vor allem an Eltern und Erzieher. Die EU-finanzierte Studie sieht vier wesentliche Schritte vor.
Erster Schritt
Zunächst möchten die Wissenschaftler das Verhalten bestimmen, das dazu führt, dass Kinder starkes Übergewicht entwickeln sowie die Faktoren, über die dieses Verhalten beeinflusst werden kann. Auch die kulturellen und gesetzlichen Ausgangsbedingungen, die in den Staaten bestehen, in denen ein Test des Programms geplant ist, sollen erhoben und berücksichtigt werden.
Zweiter Schritt
Nachdem sie untersucht haben, was bei Kindern Übergewicht auslöst, werden die Forscher vorbeugende Maßnahmen zusammenstellen. Diese wollen sie zum einen Kindergarten-basiert ausrichten, denn in Europa besuchen die meisten Kinder einen Kindergarten. Auf diesem Weg können sie also möglichst viele Kinder erreichen. Und zum anderen sollen die Familien eingebunden werden, da sich dadurch die Erfolgsquote der Maßnahmen erhöhen lässt.
Dritter und vierter Schritt
Die Forscher planen, das Präventionsprogramm an Kindergärten in Belgien, Bulgarien, Deutschland, Griechenland, Polen und Spanien einzuführen und dieses im Vergleich zu Kontrollen auszuwerten (Prozess, Ergebnis, Wirkung, Kosteneffizienz). Abschließend werden sie Empfehlungen für europäische Public-Health-Maßnahmen aussprechen.
Aktueller Stand
Den ersten Schritt haben die Forscher inzwischen abgeschlossen. Dazu haben sie Daten erhoben, indem sie eine ganze Reihe bereits unternommener Studien betrachtet und Eltern befragt haben. Sie stellten zunächst einmal fest, dass Jungen und Mädchen, gleich welcher ethnischen Gruppe oder gesellschaftlichen Schicht sie angehören, gleichermaßen von dem Programm profitieren könnten.
Kritisches Verhalten
Kindliche Adipositas kennt viele Faktoren. Dazu zählt, wie viel sich Kinder bewegen, wie lange sie sitzen und was sie essen. Doch wie groß der Einfluss der einzelnen Größen im Vorschulalter ist, war zunächst Gegenstand der Prüfung. Untersucht wurde deshalb, wie stark Übergewicht mit dem Ernährungs-, Bewegungs- und Sitzverhalten in diesem Alter zusammenhängt.
1. Bewegung
Am bedeutsamsten scheint die Bewegung zu sein. Durch ausreichend Bewegung können Kinder nicht nur Übergewicht verhindern, indem sie den Muskelaufbau und dadurch den Energieverbrauch erhöhen. Sport stärkt außerdem die motorischen Fähigkeiten, verbessert die körperliche Fitness und fördert die psychische Entwicklung der Kinder.
Bewegung tut Kindern gut
Sport sollte verstärkt in den kindlichen Alltag eingebaut werden. Erziehern wird empfohlen, sich für mehr Aktivität einzusetzen. Ganz wichtig: Beim Sport sollte der Spaß im Vordergrund stehen, nicht die Leistung. 120-180 Minuten Bewegung am Tag sind optimal. Diese sollten Eltern auch am Wochenende einplanen.
Kinder orientieren sich an ihren Eltern. Vor allem der Vater ist ein wichtiges Vorbild: Macht er Sport, sind auch die Kinder aktiver.
2. Sitzen (Fernsehen)
Neben regelmäßiger Bewegung hat in geringerem Umfang auch Fernsehen als offenbar häufigstes sitzendes Verhalten neben PC- und Videospielen im Vorschulalter einen Einfluss – allerdings keinen schützenden, sondern einen verstärkenden. Wahrscheinlich vor allem, weil Kinder während des Fernsehens mehr Snacks und Softdrinks verzehren.
Fernsehen für Kinder einschränken
Viele Eltern glauben, dass Fernsehen für Kinder erzieherisch wertvoll sei. Schauen Kinder ausgewählte Sendungen an und bleibt die tägliche Fernsehzeit begrenzt (unter 60 Minuten), dann kann das durchaus der Fall sein. Pauschal lässt sich diese Aussage jedoch nicht treffen, denn zu viel Fernsehen kann sich nachteilig auf die Gesundheit, die Kognition und das Verhalten eines Kindes auswirken. Der Fernseher ist also keinesfalls ein geeigneter „Kinderhüter“.
Vorschulkinder in Deutschland schauen im europäischen Vergleich mit durchschnittlich 20 bis 30 Minuten am Tag wenig Fernsehen. Kinder von Eltern mit niedrigem Einkommen und geringerer Bildung verbringen aber tendenziell mehr Zeit damit.
Auch bei schlechtem Wetter können Kinder draußen spielen, wenn sie entsprechend angezogen sind. Und „drinnen spielen“ muss nicht unbedingt bedeuten, dass Kinder fernsehen. Wenn Kinder Beschäftigung brauchen, können Eltern sie in ihre täglichen Aufgaben wie Kochen, Putzen, Einkaufen etc. einbeziehen.
3. Ernährung
Für die Ernährung konnten die Forscher keinen Zusammenhang mit einer Adipositas bei Vorschülern feststellen. Das bedeute aber nicht, dass überhaupt kein Zusammenhang bestünde, meinen sie. Die Wissenschaftler führen ihr Ergebnis auf die widersprüchlichen Resultate meist niedrig-qualitativer Studien zurück. Gerade Letzteres könnte die Aussagekraft schmälern. Die Forscher sprechen sich deshalb dafür aus, Ernährungsempfehlungen unter Bezug auf die Ergebnisse von Studien anderer Altersstufen bei den geplanten Maßnahmen dennoch zu berücksichtigen.
Essverhalten – Abneigung und Neophobie überwinden
Bieten Sie gesunde Lebensmittel an:
Manche als gesund eingestufte Lebensmittel schmecken Kindern nicht gleich und gegenüber Neuem herrscht oft erst einmal Misstrauen (Neophobie). Werden die fraglichen Lebensmittel in einem positiven sozialen Kontext angeboten, kann die Ablehnung aber mit etwas Geduld in Akzeptanz umschlagen. Nach mindestens fünf bis zehn Gelegenheiten, das unliebsame Lebensmittel zu probieren, akzeptieren Kinder dieses zunehmend.
Ein guter Trick ist es, die Portionsgröße zugunsten gesunder Lebensmittel zu verändern; also z. B. mittags mehr Gemüse auf den Teller zu geben, vor allem zu Beginn der Mahlzeit. Von Vorteil ist es auch, Kinder an der Zubereitung des Essens zu beteiligen.
Belohnen Sie: Eine Belohnung kann Wunder tun. Lob eignet sich hier besser als gerne gemochtes Essen. Optimal ist es natürlich, wenn Kinder gesundes Essen mit Spaß verbinden und von sich aus und mit Begeisterung Gesundes essen.
Machen Sie klare Vorgaben: Wenn Kinder sich nicht frei an Ungesundem bedienen können, kann ihr Verzehr auf diese Weise positiv kontrolliert werden. Umgekehrt sollten ihnen natürlich Obst und Gemüse regelmäßig angeboten und leicht verfügbar gemacht werden.
Greifen Sie nicht zu stark ein: Essen sollte weder aufgezwungen noch stark eingeschränkt werden. Dadurch könnte die Reaktion auf physiologische Reize, die ein Bedürfnis-orientiertes Essverhalten lenken, gestört werden.
Seien Sie Vorbild: Eltern und Erzieher, daneben auch Gleichaltrige, sind Vorbilder: Was sie vorführen, wird nachgeahmt.
Mögliche Strategien
Mit kindlicher Adipositas stehen nach der Erhebung der ToyBox-Studie die Bewegungs- und Sitzdauer (insbesondere Fernsehen) in Verbindung. Teil der Empfehlungen wird daher voraussichtlich sein, dass Kinder während der Woche weniger sitzen, sich am Wochenende mehr bewegen und evtl. auch weniger Fernsehen schauen sollen.
Ob diese und weitere noch zu planende Maßnahmen etwas verändern können, werden die Forscher in den nachfolgenden Schritten mit der Einführung des Programms prüfen.
(1) Die Wissenschaftler entstammen den Bereichen Public Health, Epidemiologie, Ernährung, Sport, Erziehung, Psychologie, Medizin, Politik und Gesundheitsökonomie.
Quelle:
Special Issue: The ToyBox-Study, Guest editors: Boyd Swinburn, Dianne Ward and John Reilly. Obesity Reviews 2012;13(Suppl. 1):1-132
verfasst von Sabrina Rauth am 25. Mai 2012 um 06:43
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