Doch kein Schutz vor Zöliakie durch frühe Glutenaufnahme
Autor/in: Dr. oec. troph. Christina Bächle,
Redaktion: Dr. Bertil Kluthe
© Kluthe-Stiftung Ernährung und Gesundheit
Mittwoch, 29. Oktober 2014
Deutsche und europäische Leitlinien empfehlen, Kindern mit einem erhöhten Zöliakierisiko bereits zwischen dem vierten und sechsten Lebensmonat geringe Mengen glutenhaltiger Beikost zusätzlich zur Muttermilch zu geben. Doch schützt diese Vorgehensweise tatsächlich vor einer späteren Erkrankung?
Im Rahmen einer von der EU geförderten Studie untersuchten Wissenschaftler erstmals unter kontrollierten Bedingungen den Zusammenhang zwischen dem Zeitpunkt der Glu-teneinführung und dem Zöliakierisiko. An der Studie nahmen 944 Säuglinge mit einer genetischen Prädisposition für Zöliakie (HLA-Risikogene DQ2 oder DQ8) und mindestens einem Fall von Zöliakie in der Verwandtschaft ersten Grades teil. Per Zufall wurden die Kinder in zwei Gruppen eingeteilt: Die Kinder der ersten Gruppe erhielten zwischen der 16. und der 24. Lebenswoche täglich 100 Milligramm immunologisch aktives Gluten, die Kinder der anderen Gruppe bekamen stattdessen ein Plazebo. Weder die teilnehmenden Familien noch das Studienpersonal wussten, welche Kinder welches Präparat erhielten. Danach folgte die Beobachtungsphase. In regelmäßigen Abständen wurden die Kinder untersucht, vermessen, und Blutproben auf Zöliakie-spezifische Antikörper geprüft (Anti-Transglutaminase 2, Antigliadin).
Die Ergebnisse dieser qualitativ hochwertigen Interventionsstudie stellen die Leitlinien-empfehlung zur Zöliakieprävention in Frage. Denn die 80 Kinder, bei denen innerhalb ihrer ersten drei Lebensjahre eine Zöliakie diagnostiziert wurde, verteilten sich in etwa gleich auf die beiden Gruppen: 5,9 Prozent der Kinder aus der Glutengruppe und 4,5 Prozent der Kinder aus der Plazebogruppe waren betroffen. Unerwarteterweise erkrankten Mädchen aus der Glutengruppe sogar häufiger als Mädchen aus der Plazebogruppe (8,9 Prozent vs. 5,5 Prozent).
Untersucht wurde auch, welchen Einfluss das Stillen auf die Entstehung einer Zöliakie hat. Hier stellten die Wissenschaftler fest, dass weder das Stillen an sich noch die Dauer des Stillens mit einer geringeren Erkrankungshäufigkeit assoziiert waren.
In einer weiteren Studie wurde ein anderer Ansatz gewählt: Kann vielleicht eine besonders späte Gluteneinführung (ab einem Alter von 12 Monaten) Risikokinder vor einer Zöliakie schützen? Tatsächlich schien es zunächst so, als sei dies der Fall. Mit der Zeit stellte sich allerdings heraus, dass summa summarum in beiden Gruppen gleich viele Kinder erkrankten, die Erkrankung trat bei den Kindern aus der Interventionsgruppe nur etwas später auf. Auch hier hatte das Stillen keinen Einfluss auf das Erkrankungsgeschehen.
Beide Studien weisen darauf hin, dass weder eine frühe noch eine besonders späte Glutengabe Kinder mit einem familiär bedingten erhöhten Zöliakierisiko langfristig vor einer Erkrankung schützen kann.
Quellen einblenden
- S. L. Vriezinga, R. Auricchio, E. Bravi et al. (2014): Randomized feeding intervention in infants at high risk for celiac disease. The New England Journal of Medicine 371, Seite 1304-1315
- E. Lionetti , S. Castellaneta, R. Francavilla et al. (2014): Introduction of Gluten, HLA status, and the risk of celiac disease in children. The New England Journal of Medicine 2014; 371: 1295–1303).
verfasst von Dr. oec. troph. Christina Bächle am 29. Oktober 2014 um 07:43
vorheriger Artikel: Gesunde und nachhaltige Ernährung? Kann ich mir nicht leisten!
nächster Artikel: Was tun mit dem Huhn?
DEBInet-Ernährungsblog - über uns
Unsere Autoren schreiben für Sie über Aktuelles und Wissenswertes aus Ernährungswissenschaft und Ernährungsmedizin. Die redaktionell aufbereiteten Texte richten sich nicht nur an Experten, sondern an alle, die sich für das Thema "Ernährung" interessieren.
Sie können sich die Beiträge per Newsletter zuschicken lassen oder diese über RSS-Feed oder Twitter abonnieren.
Für die Schriftenreihe der Gesellschaft für Rehabilitation bei Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten e.V. (GRVS) wurden 222 unserer Blog-Artikel ausgewählt. Das dabei entstandene Ernährungs-Lesebuch ist 2017 im Pabst Science Publishers Verlag erschienen und steht Ihnen hier kostenlos zum Download zur Verfügung
© 2010-2023 Kluthe-Stiftung Ernährung und Gesundheit