Ernährungspolitik: mangelhaft

Autor/in: , Redaktion: Dr. Bertil Kluthe
© Kluthe-Stiftung Ernährung und Gesundheit

Donnerstag, 30. Dezember 2021

Wenn es darum geht, ein gesundes Ernährungsumfeld für seine Bürger zu schaffen, bleibt Deutschland weit hinter seinem Potenzial zurück. So lautet das Fazit eines Forschungsprojekts, an dem 55 Experten aus Wissenschaft, Politik und Zivilgesellschaft mitgewirkt haben.

Jeder vierte erwachsene Einwohner Deutschlands hat starkes Übergewicht, jeder Zehnte ist an Diabetes mellitus erkrankt (meist Typ-2-Diabetes). Mehr als jeder siebte Todesfall hierzulande und 17 Milliarden Euro Gesundheitskosten pro Jahr stehen in Verbindung mit einer ungesunden Ernährungsweise. „Eine ausgewogene Ernährung ist von zentraler Bedeutung für die Gesundheit und Lebensqualität jedes einzelnen Menschen. Auch für den Klima- und Umweltschutz spielt die Ernährung eine wichtige Rolle“, erläutert Dr. Peter von Philipsborn, Wissenschaftler am Lehrstuhl für Public Health und Versorgungsforschung der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU München) und Leiter des Forschungsprojekts.

Die Politik kann maßgeblich dazu beitragen, gesunde Ernährungsumfelder zu schaffen. Dies geschieht beispielsweise durch das Schaffen von Anreizen für eine gesunde und nachhaltige Auswahl von Lebensmitteln, die Einführung verbindlicher Qualitätsstandards für die Schulverpflegung oder das Formulieren von Regeln für die Nährwertkennzeichnung. Doch wird Deutschland dieser Aufgabe gerecht? In ihrem Forschungsprojekt untersuchten die Wissenschaftler unter Unterstützung weiterer Experten, wo Deutschland bei der Schaffung gesunder und nachhaltiger Ernährungsumfelder steht und identifizierten Handlungsfelder für die Zukunft.

Zur Bewertung des Status quo setzten sie den „Food Environment Policy Index 2021“ (Food-EPI) ein. Dieses bewährte methodisches Rahmenwerk wird bereits in 40 Ländern weltweit eingesetzt. Der Food-EPI hilft bei der Bewertung öffentlicher Maßnahmen zur Förderung einer gesunden Ernährung, indem er die nationalen politischen Rahmenbedingungen auf strukturierte Weise erfasst und mit internationalen Best-Practice-Beispielen vergleicht. Auf Basis der Ergebnisse haben die Autoren Reformempfehlungen formuliert.

„Deutschland hat noch besonders viel Luft nach oben“, resümiert Dr. von Philipsborn. Verglichen mit den anderen 40 Ländern, für die Ergebnisse vorliegen, befinde sich Deutschland im unteren Mittelfeld. Besonders schlecht schnitt Deutschland in Bezug auf seine Lebensmittelpreisgestaltung, die Regulierung von Lebensmittelwerbung und -marketing sowie dem Lebensmittelangebot in Einzelhandel und Gastronomie ab.

Bei der Vorstellung der Ergebnisse auf einer Pressekonferenz waren sich die beteiligten wissenschaftlichen und medizinischen Fachgesellschaft in ihrer Forderung nach mehr Regulierung einig: „Wir müssen uns verabschieden von einer allgegenwärtigen Verfügbarkeit ungesunder Lebensmittel“, so Prof. Diana Rubin. Prof. Rubin ist Leiterin des Berliner Zentrums für Ernährungsmedizin Vivantes Region Nord. „Die Tendenz übergewichtiger Deutscher ist steigend. Es ist Zeit zu handeln“, fährt sie fort.

Handlungsbedarf sehen die Autoren unter anderem bei der Umsetzung einer qualitativ hochwertigen und gebührenfreien Schul- und Kitaverpflegung. „Ein gesundes und ausgewogenes Essen sollte für alle Kita- und Schulkinder in Deutschland verfügbar sein. Dazu brauchen wir eine flächendeckende und steuerfinanzierte Umsetzung verbindlicher Qualitätsstandards in diesem Bereich“, sagt PD Dr. oec. troph. Antje Hebestreit vom Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie – BIPS. Auch in anderen öffentlichen Einrichtungen mit Kantinen sollten verbindliche Qualitätsstandards (beispielsweise von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung) eingeführt werden.

Ferner sehen die Autoren die Notwendigkeit, die an Kinder gerichtete Lebensmittelwerbung gesetzlich zu regulieren. „Kinder sehen in Deutschland jeden Tag im Durchschnitt 15 Werbespots für ungesunde Lebensmittel, davon zehn im Fernsehen und fünf im Internet. Hieran haben auch freiwillige Selbstverpflichtungen der Lebensmittel- und Werbeindustrie nichts geändert. Die Politik ist in der Pflicht, Kinder vor gesundheitsschädlicher Werbung zu schützen“, fordert Barbara Bitzer, Sprecherin der Deutschen Allianz Nichtübertragbare Krankheiten (DANK).

Weitere Handlungsempfehlungen beziehen sich auf eine Mehrwertsteuerreform sowie die Einführung einer Herstellerabgabe auf Softdrinks.

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verfasst von am 30. Dezember 2021 um 08:17

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