Fettreiche Ernährung schädlich für die Gehirnreifung Jugendlicher?

Autor/in: , Redaktion: Dr. Bertil Kluthe
© Kluthe-Stiftung Ernährung und Gesundheit

Donnerstag, 3. August 2017

Aktuelle Studienergebnisse der ETH und der Universität Zürich weisen darauf hin, dass eine fettreiche Ernährung die Reifung des präfrontalen Cortex (Stirnhirnrinde) hemmt. Dies kann sich negativ auf Lernprozesse, die Persönlichkeit und die Impulskontrolle auswirken.

In mehreren Experimenten untersuchten die Wissenschaftler die Folgen einer fettreichen Ernährung mit vielen gesättigten Fettsäuren für die Reifung des präfrontalen Cortex sowie die zugrunde liegenden molekularen Prozesse. Der präfrontale Cortex, auch Stirnhirnrinde genannt, ist zuständig für Gedächtnis, Planung, Impulskontrolle und Sozialverhalten. Bei Schädigungen des präfrontalen Cortex (beispielsweise durch einen Unfall oder eine Tumorerkrankung) verändert sich das Wesen. Betroffene Menschen haben Mühe bei komplexen Lernprozessen, können Hemmungen verlieren und unkontrolliert aggressiv werden, eventuell auch kindisch oder triebhaft. Im Vergleich zu anderen Hirnarealen dauert die Reifung des präfrontalen Cortex länger und ist erst im frühen Erwachsenenalter abgeschlossen. Daher können negative Umwelteinflüsse wie Stress, Infektionen, Traumata oder eine einseitige Ernährung vor allem den Reifeprozess dieser Hirnregion beeinträchtigen.

Für ihre Studie fütterten die Wissenschaftler sowohl heranwachsende als auch erwachsene Mäuse jeweils über einen Zeitraum von 13 Wochen mit einem Spezialfutter, das einen Fettgehalt von 63 Prozent besaß (Interventionsgruppen) oder mit einem Standardfutter (Kontrollgruppen). Anschließend testeten sie das räumliche Orientierungsvermögen der Tiere. Dabei schnitten heranwachsende Mäuse der Interventionsgruppe (mit fettreicher Ernährung) schlechter ab als die gleichaltrige Kontrollgruppe. Dies galt insbesondere, wenn unerwartete Veränderungen des Versuchsaufbaus ein höheres Maß an Flexibilität erforderten. Bei den erwachsenen Mäusen zeigte sich dagegen kein Unterschied zwischen beiden Gruppen. Dafür waren andere Folgen der fettreichen Ernährung in der älteren Gruppe offensichtlich: Bereits kurz nach Beginn der Fütterung mit dem fettreichen Futter nahmen die erwachsenen Mäuse deutlich zu. „Jungen Tieren sieht man zuerst kaum an, dass sie fettreiches Futter zu sich nehmen“, erläutert Prof. Urs Meyer von der Universität Zürich. „Bevor die heranwachsenden Mäuse dick werden, machen sich aber schon andere neuronale Defizite bemerkbar.“ Demnach scheint das Zeitfenster der Exposition mit einer fettreichen Ernährung für deren Folgen entscheidend zu sein.

Auf der Suche nach der Ursache für die Veränderungen der heranwachsenden Mäuse fanden die Wissenschaftler eine um ein Drittel (35 Prozent) verringerte Reelin-Konzentration im präfrontalen Cortex. Reelin ist wichtig für die Regulation der synaptischen Plastizität1 Synapsen sind die Verbindungen der Nervenzellen. Zur synaptischen Plastizität zählt die Änderung der Ausschüttung und Modulation von Transmittern (Reiz übertragenden Stoffen) sowie die Änderung von Anzahl und Organisation der Synapsen, welche wiederum mitentscheidend für das Lernen und die Gedächtnisbildung ist. In weiteren Versuchen konnten Prof. Meyer und seine Kollegen belegen, dass tatsächlich das Reelin-Defizit ursächlich für Störungen in Lernprozessen und im Verhalten ist. „Wahrscheinlich gibt es aber noch weitere Reelin-unabhängige Prozesse, die durch eine fettreiche Ernährung während des Heranwachsens verändert werden und sich auf die kognitive Entwicklung negativ auswirken“, vermutet Prof. Meyer.

Bislang ist allerdings noch nicht bekannt, ob die Veränderungen des präfrontalen Cortex und die entsprechenden Defizite der heranwachsenden Mäuse infolge einer fettreichen Ernährung reversibel sind, wenn sich die Ernährung der Mäuse wieder verändert. „Vermutlich bleiben einige Einbußen bestehen, andere können vielleicht durch eine normale Ernährung wieder rückgängig gemacht werden“, meint Prof. Meyer.

Angesichts dieser beunruhigenden Ergebnisse stellt sich die Frage, inwieweit diese Ergebnisse auf Menschen übertragbar sind. Meyer betont in diesem Zusammenhang die Gemeinsamkeiten bei der Reifung des präfrontalen Cortex beider Spezies. „Sowohl beim Menschen als auch bei der Maus reift der präfrontale Cortex hauptsächlich in der Adoleszenz heran“, erläutert Prof. Meyer. „Auch die Nervenzellstrukturen und die zellulären Prozesse im Gehirn, auf die die fettreiche Nahrung einwirkt, stimmen bei Mensch und Maus weitgehend überein.“

Allerdings liegt der Fettanteil der experimentellen Nahrung mit 63 Prozent bei weitem über dem, was die meisten Menschen über einen längeren Zeitraum zu sich nehmen. Zum Vergleich: Selbst Pommes frites und ein Big Mac haben „lediglich“ einen Fettanteil von 15-20 Prozent. „Diese Form der Zuspitzung haben wir bewusst gewählt, um den Effekt fettreicher Nahrung auf die Gehirnreifung klar und deutlich aufzuzeigen und den Prinzipienbeweis erbringen zu können“, argumentiert Prof. Meyer.

Aktuell versuchen die Wissenschaftler nun, einen Grenzwert für den Fettanteil der Nahrung Jugendlicher zu bestimmen, ab dem Schäden des präfrontalen Cortex zu erwarten sind. Gelegentliche Ausschweifungen hält Prof Meyer aber für unbedenklich. „Wer einmal pro Woche fettreiches Fast Food isst, wird kaum betroffen sein“, mutmaßt er.

1 Synapsen sind die Verbindungen der Nervenzellen. Zur synaptischen Plastizität zählt die Änderung der Ausschüttung und Modulation von Transmittern (Reiz übertragenden Stoffen) sowie die Änderung von Anzahl und Organisation der Synapsen.

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verfasst von am 3. August 2017 um 06:24

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Ein Kommentar zu “Fettreiche Ernährung schädlich für die Gehirnreifung Jugendlicher?”

  1. Helga sagt:

    Sehr interessant Studie, höre das zum ersten Mal. Da muss man als Elternteil ja aufpassen, dass das Kind nicht zu fettig ist. Klar – man achtet natürlich immer darauf und weiß auch, dass Fettiges nicht unbedingt gesund aber unter dieser Betrachtung habe ich das noch nie gesehen.
    Mein Ältester macht nun „Low Carb“ – als ich mal nachgelesen habe, was das genau ist, habe ich feststellen müssen, dass es SEHR fetthaltig ist.

    Leider muss ich tatsächlich zugeben, dass mein Sohn Lernprobleme hat und schon häufiger zu aggressiven Verhalten geneigt hat. Ob das nun tatsächlich davon kommt?

    Danke für den Einblick. Sehr Informativ!

    LG
    Helga

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