Geschmacksprägung beginnt schon im Mutterleib
Autor/in: Dr. oec. troph. Christina Bächle,
Redaktion: Dr. Bertil Kluthe
© Kluthe-Stiftung Ernährung und Gesundheit
Donnerstag, 8. Oktober 2015
In einer aktuellen Literaturübersicht ist das Forschungsinstitut für Kinderernährung der Frage nachgegangen, ob und gegebenenfalls wie sich geschmackliche Prädispositionen schon früh auf wünschenswerte Weise beeinflussen lassen. Die Ergebnisse weisen auf längerfristige Wirkungen von geschmacklichen Erfahrungen aus der Zeit vor und nach der Geburt hin.
Evolutionär bedingt bevorzugen Säuglinge vor allem die Geschmacksrichtung süß, aber auch salzig und das sogenannte umami (herzhaft, fleischig, wohlschmeckend) werden toleriert. Dagegen besteht von Natur aus eine Aversion gegen saure und bittere Geschmacksrichtungen zum Schutz vor Giftigem oder Verdorbenem. Gerade die instinktive Vorliebe für Süßes scheint den Empfehlungen für eine gesunde Ernährung entgegenzustehen. Daher besteht großes Forschungsinteresse hinsichtlich der Frage, ob und wie sich frühkindliche Geschmacksvorlieben auf ernährungsphysiologisch wünschenswerte Weise prägen lassen.
Auch wenn die Studienlage zu diesem Thema bislang eher lückenhaft ist und insbesondere Studien über langfristige Effekte der geschmacklichen Prägung in jungen Jahren fehlen, scheint eine frühkindliche Geschmacksprägung derzeit als durchaus wahrscheinlich. So wurde beispielsweise berichtet, dass Jugendliche und Erwachsene, die früher Säuglingsmilch mit Vaniellearoma erhalten hatten, mit Vanillearoma aromatisierte Lebensmittel bevorzugten. Acht- bis neunjährige Kinder, deren Mütter in der 35. bis 39. Schwangerschaftswoche drei- bis viermal wöchentlich Knoblauch verzehrt hatten, präferierten im Vergleich zur Kontrollgruppe knoblauchhaltige Gerichte und Kleinkinder, deren Mütter während der Schwangerschaft und Stillzeit Karottensaft tranken, bevorzugten bei der Beikosteinführung karottenhaltigen Getreidebrei. Außerdem ist bekannt, dass Kinder, die länger gestillt wurden, später mehr Gemüse verzehrten. Ob dieser Effekt allerdings auf eine geschmackliche Prägung zurückzuführen ist oder eher darauf, dass Mütter, die länger stillen, generell ein ausgeprägtes Gesundheitsbewusstsein aufweisen, ist bislang nicht bekannt. Denn auch das Angebot an Obst und Gemüse beeinflusst den Verzehr.
Aus entwicklungs- und ernährungsphysiologischen Gründen erweist sich eine Einführung der Beikost im fünften bis siebten Lebensmonat als besonders günstig. In diesem Zeitfenster ist die Akzeptanz für unbekannte Lebensmittel größer und saure sowie bittere Lebensmittel werden seltener abgelehnt. Wiederholtes, zwangloses Anbieten von Lebensmitteln, die zuvor abgelehnt wurden, erhöht die Akzeptanz ebenso wie ein rascher Wechsel der Gemüsesorte bei der Beikosteinführung.
Als Fazit hält Professor Dr. Mathilde Kersting vom Forschungsinstitut für Kinderernährung fest, dass die „derzeitigen Erkenntnisse aus sensorischer Sicht und im Einklang mit ernährungserzieherischen Konzepten für eine ausgewogene variationsreiche Ernährung im Geschmacks- und im Ernährungskontinuum von Mutter und Kind von Anfang an“ sprechen.
Quellen einblenden
- M. Kersting, A. Hilbig, S. Disse (2015): Säuglingsernährung und Geschmacksprägung. Einfluss früher sensorischer Erfahrungen auf die kindliche Ernährung. Monatsschrift Kinderheilkunde 163: S. 783-789
verfasst von Dr. oec. troph. Christina Bächle am 8. Oktober 2015 um 06:03
vorheriger Artikel: Vater werden macht schwer
nächster Artikel: Was wäre wenn…? Viele Herz-Kreislauf-Todesfälle wären vermeidbar
DEBInet-Ernährungsblog - über uns
Unsere Autoren schreiben für Sie über Aktuelles und Wissenswertes aus Ernährungswissenschaft und Ernährungsmedizin. Die redaktionell aufbereiteten Texte richten sich nicht nur an Experten, sondern an alle, die sich für das Thema "Ernährung" interessieren.
Sie können sich die Beiträge per Newsletter zuschicken lassen oder diese über RSS-Feed oder Twitter abonnieren.
Für die Schriftenreihe der Gesellschaft für Rehabilitation bei Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten e.V. (GRVS) wurden 222 unserer Blog-Artikel ausgewählt. Das dabei entstandene Ernährungs-Lesebuch ist 2017 im Pabst Science Publishers Verlag erschienen und steht Ihnen hier kostenlos zum Download zur Verfügung
© 2010-2024 Kluthe-Stiftung Ernährung und Gesundheit