Influencer: Das Märchen von Freundschaft, Schönheit und Glück

Autor/in: , Redaktion: Dr. Bertil Kluthe
© Kluthe-Stiftung Ernährung und Gesundheit

Donnerstag, 7. November 2019

Soziale Netzwerke und ihre sogenannten Influencer, die Rockstars des Internets, sind aus dem Leben vieler Jugendlicher nicht mehr wegzudenken. Doch was steckt hinter der schönen, heilen Welt, die den Jugendlichen suggeriert wird?

Trotz verstärkter Aufmerksamkeit leiden nach wie vor viele Kinder in Industrienationen an Essstörungen. Die Spanne ist groß und reicht von Magersucht bis zur Fettleibigkeit. Jeder fünfte Jugendliche in Deutschland ist unzufrieden mit seiner Figur oder hat Heißhungerattacken, jeder sechste 14- bis 17-Jährige ist übergewichtig. Familien, Schulen und Krankenkassen versuchen, diese gefährliche Entwicklung zu bremsen und Einfluss auf das Gesundheitsverhalten der Heranwachsenden zu nehmen, klagen aber häufig über den gefährlichen Einfluss des Internets und speziell der sozialen Netzwerke nebst Influencer. Laut Untersuchungen halten sich 12- bis 17-Jährige täglich bis zu drei Stunden in sozialen Netzwerken auf. Mehr als jeder Dritte steuert dabei gezielt die Seiten sogenannter Influencer an. Influencer sind Personen, die (mindestens in sozialen Netzwerken) besonders einflussreich sind und daher gezielt von Firmen als Werbebotschafter eingesetzt werden.

„Jugendliche bewegen sich täglich mehrere Stunden in sozialen Netzwerken im Internet, dort informieren sie sich auch über gesundheitsrelevante Themen wie Ernährung und Bewegung“, erläutert Studienleiterin Prof. Dr. Sabine Bohnet-Joschko. „Wir müssen diese Art der Kommunikation und ihre Hintergründe verstehen, wenn wir gesundheitsfördernde Maßnahmen planen, sonst zielen wir an der Lebenswelt der Jugendlichen vorbei. Das war der Ausgangspunkt unserer Studie.“ Gemeinsam mit ihrer Doktorandin Katharina Pilgrim hat die Wissenschaftlerin untersucht, wie Influencer zu gesundheitsrelevanten Themen kommunizieren und das Verhalten Jugendlicher beeinflussen.

Für ihre Studie haben die Wittener Forscherinnen 1000 Posts von Deutschlands Top-50-Fitness-Influencern analysiert und neun extreme sowie 27 typische Kommunikationsstränge zwischen Influencern und ihren „Usern“ unter die Lupe genommen. Dabei stießen die Wissenschaftlerinnen immer wieder auf dieselbe Strategie, die Vermittlung von Ernährung und Bewegung als Schlüssel zur Perfektion des eigenen Körpers. Fitness-Influencer stellen ihren Körper plakativ in Szene. Sichtbare Muskulatur und ein geringer Anteil an Körperfett gelten dabei als Ideale eines aktuellen Körperkults, bei dem Schönheit nur durch aktive Formung des eigenen Körpers erreicht werden kann. Ein unrealistisches, durch permanente Selbstoptimierung erreichtes äußerliches Erscheinungsbild gilt in der Welt der Influencer und ihrer User als Indikator für Kontrolle, Leistung und Macht.

„Jugendliche kommunizieren mit Influencern über das Internet wie mit besten Freundinnen, sie klagen über ihre Figur, kommentieren umfangreich das Aussehen, die Kleidung, das Essen ihrer Idole, und sie suchen Rat, wie auch sie so perfekt werden können“, erklärt Katharina Pilgrim. „Dass die dargestellten Fotos aufwändig in Szene gesetzt und umfangreich bearbeitet sind, ist ihnen vermutlich nicht klar.“

Letztendlich stecken hinter dieser Welt der Selbstinszenierung wohl in erster Linie materielle Interessen. Denn Influencer verdienen am Verkauf der Produkte, die sie auf ihren Bildern präsentieren, mit. Fast auf der Hälfte der untersuchten Bilder waren Nahrungsergänzungsmittel abgebildet. Auf zwei von drei Bildern war ein Hersteller, ein Produkte, eine Marke oder ein Unternehmen eingebunden, obwohl die Hälfte dieser Bilder nicht als Werbung gekennzeichnet war. „Nicht ständig, aber doch regelmäßig, geht es auch um die Vermarktung von Produkten. In unserem Untersuchungsfeld sind das besonders Sportbekleidung und Nahrungsergänzungsmittel“, macht Katharina Pilgrim aufmerksam. Die Influencer vermitteln dabei den Eindruck, dass durch die von ihnen präsentierten vermeintlich genutzten Produkte der Weg zum angestrebten Äußeren einfacher wird. „Konsum, Schönheit und Glück werden so in einen direkten Zusammenhang gestellt“, erläutert Prof. Dr. Bohnet-Joschko und Katharina Pilgrim ergänzt: „Nur wer schön ist, kann auch gesund und glücklich sein. Und nur wer einen gestählten Körper besitzt, ist schön. Die figurbetonten Sportklamotten und in die Linse gehaltenen Nahrungsergänzungsmittel versprechen, dass das möglich ist.“

Die Wissenschaftlerinnen gehen davon aus, dass die intensive Nutzung sozialer Netzwerke „Jugendliche maßgeblich in [ihrer] Haltung und Meinung zu gesundheitsrelevanten Verhaltensweisen prägt“. Da das primäre Ziel von Influencern darin bestehe, Einnahmen zu generieren, und nicht, die Gesundheit zu fördern, gälte es, Jugendliche in ihrer psychischen und physischen Entwicklung zu schützen und zu begleiten. Neben regulatorischen Ansätzen wie Abmahnverfahren gegen Influencer aufgrund potentieller Schleichwerbung schlagen sie vor, die Digitalkompetenz von Lehrenden, Erziehungsberechtigten und Entscheidern zu erweitern, um Jugendliche angemessen aufklären, beraten und schützen zu können, und soziale Medien gezielt für die Umsetzung von Kampagnen und gesundheitsfördernden Maßnahmen für Jugendliche zu nutzen.

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verfasst von am 7. November 2019 um 08:18

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