Liebe macht blind – auch für Lebensmittelverschwendung!
Autor/in: Dr. oec. troph. Christina Bächle,
Redaktion: Dr. Bertil Kluthe
© Kluthe-Stiftung Ernährung und Gesundheit
Dienstag, 26. Juli 2016
Mutterliebe und Familiensinn führen zu einem erhöhten Aufkommen von Lebensmittelabfällen? Was zunächst einmal absurd klingt, ist bei näherer Betrachtung gar nicht so abwegig.
Im Rahmen einer qualitativen Studie, die an der Universität von Cornell (USA) durchgeführt wurde, befragten Wissenschaftler zwanzig mit der Fürsorge für eine Familie betraute Personen. Ihr Ziel: mehr über den Zusammenhang zwischen familiärer Zuneigung, einer Präferenz für ein Leben im Überfluss und daraus resultierende Lebensmittelabfälle in Familien der unteren Mittelschicht zu erfahren. Das Studiendesign umfasste neben eingehenden Interviews eine Auswertung von Fotos und Beobachtungen vor Ort im Hinterland New Yorks.
Die Wissenschaftler fanden heraus, dass Mütter ihre Familien häufig mit großen Essensportionen versorgten, um damit ihre Zuneigung zum Ausdruck zu bringen. Insbesondere diejenigen der Befragten, die in ihrer Vergangenheit von Ernährungsunsicherheit betroffen waren, neigten dazu, als Vorsichtsmaßnahme (zu) große Mengen an Lebensmitteln zu horten. Besonders interessant war auch die Aussage der Befragten, dass sie, wenn sie ihren Familien ungesunde Nahrungsmittel anböten, zugleich auch gesunde Beilagen zubereiten würden – um den ungesunden Effekt auszugleichen. Da dann allerdings unter dem Strich mehr Essen serviert als gegessen wird, bleiben Reste übrig, die häufig weggeworfen werden. Tatsächlich waren in dieser Studie Essensreste die häufigste Ursache für Lebensmittelabfälle.
„Es ist auf eine Art ironisch„, findet Dr. Gustavo Purino, Erstautor der Studie, die in Kürze im „Journal of Food Products Marketing“ veröffentlicht wird. „Die Fürsorgenden tun alles, um die traditionellen Rollenklischees einer „guten Mutter“ zu erfüllen. Sie bevorraten zuhause alle Arten von Lebensmitteln in Hülle und Fülle, bieten zwischen den Mahlzeiten Snacks und Leckereien an und stellen sicher, dass alle bei Tisch mehr als genug auf ihren Tellern haben. Genau diese Verhaltensweisen führen aber auch zu Lebensmittelverschwendung, verschwendetem Geld und sogar zu Übergewicht.“
Die Ergebnisse der aktuellen Studie legen nahe, dass Lebensmittelabfälle vermieden werden könnten, wenn Organisationen wie Lebensmitteltafeln mit Ernährungsfachkräften zusammenarbeiten würden, die die Kunden beispielsweise zur Bevorratung von Lebensmitteln beraten. Darüber hinaus könnten positiv formulierte Botschaften zur Verwendung von Lebensmittelresten und Kampagnen, in denen die finanziellen Vorteile der Vermeidung von Lebensmittelabfällen betont werden, Haushaltsvorstände zum Umdenken ermutigen, so die Wissenschaftler. „Durch die Erkenntnis, dass Ressourcen infolge zu viel zubereiteter Speisen verschwendet werden, könnten Menschen eher dazu bereit sein, andere Wege auszuprobieren, ihre Zuneigung auszudrücken„, vermutet Dr. Purino. „Gute Absichten sind bereits vorhanden, unsere Aufgabe besteht darin, daran zu arbeiten, wie sie zum Ausdruck gebracht werden!“
Auch in Deutschland werden jedes Jahr pro Person durchschnittlich 82 Kilogramm Lebensmittel im Wert von 235 Euro weggeworfen. Beinahe zwei Drittel aller Lebensmittelabfälle entstehen in Privathaushalten. Daher wurde die Kampagne „Zu gut für die Tonne!“ initiiert, die sich seit 2011 dafür einsetzt, Lebensmittelverschwendung in Deutschland zu reduzieren.
Quellen einblenden
- Zu gut für die Tonne
- Cornell Food & Brand Lab (2016): Love is blind … to food waste. When an overstocked fridge wastes food and money. Pressemitteilung vom 13.06.2016.
- G. Purino, B. Wansink, J. Parente (2016): Wasted positive intentions: The Role of Affection and abundance on household food waste. Journal of Food Products Marketing, Online-Vorabveröffentlichung
verfasst von Dr. oec. troph. Christina Bächle am 26. Juli 2016 um 06:19
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