Milchpreiskrise: Tragen Verbraucher eine Mitschuld?
Autor/in: Dr. oec. troph. Christina Bächle,
Redaktion: Dr. Bertil Kluthe
© Kluthe-Stiftung Ernährung und Gesundheit
Donnerstag, 16. Juni 2016
Für Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt ist neben dem Überangebot an Rohmilch auch das Einkaufsverhalten der Konsumenten für die aktuelle Entwicklung des Milchpreises verantwortlich. In einer aktuellen Marktanalyse widerlegt die Verbraucherorganisation foodwatch allerdings Schmidts Aussage.
Anfang Mai haben die Discounter die Verkaufspreise für Milch und Milchprodukte deutlich gesenkt. Damit verschärft sich die finanzielle Lage der heimischen Landwirtschaft weiter. Im Vorfeld des Milchgipfels, bei dem die Bundesregierung mit Vertretern der Bauernverbände, der Molkereien und des Einzelhandels nach Lösungswegen suchte, appellierte Bundeslandwirtschaftsminister Schmidt an Milchkäufer: „Auch wir Verbraucher können etwas tun, wenn wir nicht immer zur billigsten Milch greifen.“ Schmidts Aussage wurde von der Verbraucherorganisation foodwatch kritisch hinterfragt.
- Mit ihrer aktuellen Marktanalyse wollte foodwatch die Einflussmöglichkeiten von Verbrauchern auf die Bezahlung von Landwirten prüfen. Leitend waren dabei folgende Fragen:
Kommt von dem Mehrpreis für ein Markenprodukt überhaupt etwas bei den Erzeugern an? Wenn ja, wieviel? - Haben Verbraucherinnen und Verbraucher die Möglichkeit, sich durch den Kauf von teurerer Milch für einen fairen Erzeugerpreis zu entscheiden?
Für die Auswertung wurden die aktuellen Preise von 31 handelsüblichen Milchmarken aus konventioneller und ökologischer Erzeugung berücksichtigt, darunter ungekühlt haltbare H-Milch, ESL-Milch aus dem Kühlregal (extended shelf life = längere Haltbarkeit im Regal) und bei Biomilch zusätzlich pasteurisierte Milch. Die Milche konnten grob in drei Preisbereiche eingeteilt werden:
- Der günstigste Preis lag bei 46 Cent pro Liter für konventionelle Milch der Handelsketten.
- Der Preis für konventionelle Marken-Milch und Biomilch der Discounter betrug etwa 1 €.
- Für Marken-Biomilch musste mindestens 1,30 € bezahlt werden.
Dass der Auszahlungspreis, den die Molkereien den Milchbauern pro Liter bezahlen, deutlich geringer ist als der Preis, den die Konsumenten im Supermarkt bezahlen, war von vornherein klar. Allerdings gestaltete sich die Recherche nach aktuellen Auszahlungspreisen schwierig. Fündig wurde foodwatch schließlich beim Fachblatt „Deutsche Landwirtschaftszeitung“ für konventionell wirtschaftende Landwirte und beim Bio-Anbauverband „Bioland“ (Stand jeweils April 2016).
Demnach erhielten Landwirte für konventionell erzeugte Milch im April 2016 zwischen 23,7 und 28,4 Cent (Tendenz sinkend), der Auszahlungspreis für Biomilch lag dagegen bei rund 48 Cent pro Liter.
Wie ändert sich der Erlös der Landwirte, wenn Verbraucher anstelle der günstigen Discountermilch (Handelsmarke) die teurere konventionell erzeugte Markenmilch kaufen? Im Lebensmittelhandel betrug die Preisdifferenz zwischen beiden Produkten bis zu 83 Cent pro Liter, unabhängig davon, ob H-Milch oder ESL-Milch eingekauft wurde. Damit ist Markenmilch bis zu 2,8-fach teurer als Milch einer Handelsmarke. Der Auszahlungspreis, den die Milchbauern erhielten, war bei der Markenmilch allerdings lediglich 5 Cent beziehungsweise 20 Prozent höher. foodwatch geht davon aus, dass Verbraucher mit dem höheren Preis für Markenware hauptsächlich für Werbung und Marketing zur Kasse gebeten werden.
Besser scheint es dagegen Biolandwirten zu gehen. Biomilch der Handelsmarken kostete 59 Cent oder 128 Prozent mehr als konventionell erzeugte Milch einer Handelsmarke. Zugleich war der Auszahlungspreis für Biomilch 22 Cent höher, was beinahe einer Verdopplung des Auszahlungspreises im Vergleich zu konventionell wirtschaftenden Landwirten entspricht. Demnach werden die höheren Supermarktpreise bei Biomilch eher an die Landwirte weitergereicht. Aber auch im Biosegment verdienen Molkereien und der Handel durch die erhöhten Erlöse mit.
Fazit: Entscheidet sich der Konsument für die teurere, konventionell erzeugte Markenmilch anstelle für Milch einer Handelsmarke, hat dies nur marginale Auswirkungen auf den Erlös der Landwirte. Deutlich höhere Auszahlungspreise gibt es nur für Biomilch, wenngleich auch hier ein Teil des höheren Preises, den die Verbraucher bezahlen, für Werbung, Marketing und Gewinne der Molkereien und des Handels aufwendet werden. Damit sieht foodwatch aktuell keine Möglichkeit für Verbraucher, wie von Minister Schmidt gefordert, über ihr Einkaufsverhalten auf breiter Front den niedrigen Marktpreisen entgegenzuwirken.
Quellen einblenden
- foodwatch (2016): foodwatch-Marktcheck: Verbraucher können Verfall der Milchpreise nicht aufhalten. Pressemitteilung vom 30.05.2016
- foodwatch (2016): Milchpreise: Was kommt von den Verbraucherpreisen bei den Landwirten an? Erläuterungen zum foodwatch Milchpreis-Marktcheck (Mai 2016).
- foodwatch Milchpreis-Marktcheck Mai 2016
- Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (2016): „Weniger Milch für bessere Preise“. Pressemitteilung vom 03.06.2016.
verfasst von Dr. oec. troph. Christina Bächle am 16. Juni 2016 um 06:27
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