Mythos Verdauungsschnaps
Autor/in: Dr. oec. troph. Christina Bächle,
Redaktion: Dr. Bertil Kluthe
© Kluthe-Stiftung Ernährung und Gesundheit
Freitag, 21. Dezember 2012
Wie gut wirken Verdauerli, Verrisserle, Zerhacker, Absacker und Co.?
Während der nun kommenden Feiertage wird gerne und gut gegessen. Doch was tun, wenn es nach einer üppigen Mahlzeit im Bauch drückt und zwickt? Erwachsene greifen in solchen Fällen gerne zu einem Verdauungsschnaps (Digestiv). Unterstützt Hochprozentiges wirklich die Verdauung?
In der Schweiz untersuchten Wissenschaftler den Effekt verschiedener Getränke, die zu bzw. nach einer deftigen Mahlzeit getrunken wurden, auf die Verdauung. Als Mahlzeit entschieden sich die Forscher sicher nicht ganz zufällig für ein Schweizer Nationalgericht, das Käsefondue. Es ist reich an Fett und Energie und bietet damit ideale Voraussetzungen zur Untersuchung von verdauungsfördernden bzw. -hemmenden Wirkungen verschiedener Getränke.

Zwanzig gesunde Personen (14 Männer und sechs Frauen) im Alter von 23-58 Jahren erhielten zu zwei verschiedenen Zeitpunkten je eine Portion Käsefondue bestehend aus 200 Gramm geschmolzenem Käse und 100 Gramm Weißbrotwürfeln. Zu dem Fondue tranken die Teilnehmer an einem Tag 300 Milliliter Weißwein, am anderen Untersuchungstag Schwarztee. Später erhielten die Probanden entweder ein Gläschen Kirschwasser als Digestiv oder 20 Milliliter Wasser. Weshalb die Wahl des Vergleichsgetränks ausgerechnet auf Schwarztee fiel, liegt wohl in der Schweizer Tradition begründet. Die Wissenschaftler berichten von einem nationalen Konflikt über das „richtige“ Getränke zum Käsefondue. Demnach stehen Weißwein und Schwarztee in der Gunst der Schweizer besonders hoch im Kurs.
Im Vorfeld war der Fonduekäse mit speziellen Marker-Molekülen markiert worden. Durch Atemtests im Anschluss an die Fonduemahlzeit konnten die Wissenschaftler untersuchen, ob Alkohol die Verdauung ankurbelt oder nicht.
Zum Ergebnis: Schon während der Mahlzeit verzögerte der getrunkene Wein Verdauungsvorgänge. Dieser Effekt blieb nach dem Essen bestehen und verstärkte sich nach dem alkoholischen Aperitif weiter. Wurde Wein zum Essen getrunken, verzögerte sich die Magenentleerung. Ähnliches galt für Schnaps nach der Mahlzeit, insbesondere wenn zuvor Schwarztee getrunken wurde. Eine weitere Beobachtung war, dass größere Mengen von Alkohol, die während oder nach dem Fondue getrunken wurden, zwar den Appetit der Probanden hemmten, jedoch nicht mit Verdauungsproblemen wie Unwohlsein, Übelkeit oder Blähungen einhergingen.
Dass die Schweizer Wissenschaft, Humor und Nationalbewusstsein miteinander verbinden können, bewiesen sie auch bei der Diskussion und insbesondere beim Fazit ihrer Studie: „Gesunden Lesern wird versichert, dass sie dieses Nationalgericht weiterhin mit dem Getränk ihrer Wahl genießen können, ohne [gravierende] Verdauungsstörungen befürchten zu müssen.“ Davon abgesehen zeigt die Studie allerdings auch, dass bei den 20 Probanden keine verdauungsfördernde Wirkung von Alkohol festgestellt werden konnte – ganz im Gegenteil: Alkohol verzögerte sogar Verdauungsprozesse. Zur Ankurbelung der Verdauung sollten demnach andere Dinge ausprobiert werden. Wie wäre es mit dem altbekannten Rat „Nach dem Essen sollst Du ruhn‘ oder tausend Schritte tun“? Einen Versuch ist es sicherlich wert…
Quelle:
- H. Heinrich, O. Goetze, D. Menne, P. X. Iten, H. Fruehauf, S. R. Vavricka, W. Schwizer, M. Fried, M. Fox (2010): Effect of gastric function and symtpoms of drinking wine, black tea, or schnapps with a Swiss cheese fondue: randomsied controlled crossover trial. BMJ 2010; 341:c6731
verfasst von Dr. oec. troph. Christina Bächle am 21. Dezember 2012 um 06:39
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