Nährwert-Logos: Willkommene Nebenwirkungen
Autor/in: Dr. oec. troph. Christina Bächle,
Redaktion: Dr. Bertil Kluthe
© Kluthe-Stiftung Ernährung und Gesundheit
Dienstag, 1. Oktober 2019
Klein, aber oho: Laut einer französischen Modellierungsstudie könnte durch die Kennzeichnung aller Lebensmittel mit einem Nährwert-Logo die Kalorienaufnahme um bis zu 9 Prozent sinken, was zu einem beachtlichen Rückgang an Todesfällen durch ernährungsbedingte chronische Erkrankungen beitragen würde.
Nährwert-Logos, die auf der Vorderseite von Lebensmittelverpackungen abgebildet sind, helfen Käufern, mit einem Blick den Gesundheitswert von Lebensmitteln einzuschätzen und alternative Produkte zu vergleichen. Sie haben das Potenzial, die Ernährungsqualität zu verbessern und könnten damit zu einer Verringerung von ernährungsbedingten chronischen Erkrankungen wie Typ-2-Diabetes oder Fettleibigkeit (Adipositas) beitragen. Allerdings wurde der Zusammenhang zwischen dem Einsatz von Nährwert-Logos und dem Auftreten chronischer Erkrankungen bislang nicht wissenschaftlich untersucht. Problematisch an der Durchführung entsprechender Studien ist unter anderem, dass chronische Erkrankungen über einen sehr langen Zeitraum entstehen, sodass die Ergebnisse frühestens in mehreren Jahren (je nach Studienendpunkt) vorliegen würden. Hinzu kommt, dass verschiedene Faktoren zu der Entstehung der Erkrankung beitragen, sodass es schwer wäre, den Effekt von Nährwertlogos isoliert zu betrachten.
Um dennoch eine Antwort auf die Frage zum Zusammenhang zwischen der Verwendung von Nährwert-Logos, der Kalorienaufnahme und dem Auftreten von ernährungsbedingten chronischen Erkrankungen zu erhalten, modellierten französische Wissenschaftler der Universitäten Paris, Grenoble und Bobigny diesen Zusammenhang unter Verwendung spezieller Statistiksoftware. Sie bezogen fünf verschiedene Nährwert-Logos ein, darunter den Nutri-Score, das Health Star Rating-System und ein Referenzwertsystem.
Aus einer vorangegangenen Studie war den Forschern bereits bekannt, welche Auswirkungen eine einheitliche Lebensmittelkennzeichnung mit Nährwert-Logos auf den Lebensmitteleinkauf hätte. Durch die Verknüpfung dieser Ergebnisse mit Daten zum Ernährungsverhalten der französischen Gesamtbevölkerung konnten die Wissenschaftler nun schätzen, wie sich die Lebensmittelauswahl und die damit verbundene Energie- und Nährstoffaufnahme durch die Verwendung der Logos verändern würde – vorausgesetzt, alle eingekauften Lebensmittel würden auch tatsächlich verzehrt werden.
Die Ergebnisse sprechen für sich: Durch die Lebensmittelkennzeichnung würden demnach zwischen 2 und 9 Prozent weniger Energie aufgenommen werden, wobei die größte Energiereduktion (9 Prozent) mit dem Nutri-Score realisiert werden könnte. Dies entspräche immerhin 180 Kilokalorien pro Tag. Auch die Zusammensetzung der Nahrung wäre gesünder, da beispielsweise durch die Nutri-Score-Kennzeichnung mehr Obst, Gemüse und Ballaststoffe und zugleich weniger gesättigte Fettsäuren und Salz aufgenommen werden würden.
Diese Verbesserung der Ernährung würde sich auch günstig auf die Gesundheit auswirken, wie die Wissenschaftler im letzten Schritt ihrer Studie berechneten. Sie zogen frühere Studienergebnisse über den Zusammenhang zwischen der Art der Ernährung und dem Auftreten von Erkrankungen hinzu und berechneten so die Anzahl von Sterbefällen, die durch die labelbedingte Verbesserung der Ernährung verhindert werden könnte. Auch hier erzielte der Nutri-Score mit einem Minus von 3,4 Prozent den Spitzenwert. Sollten die Annahmen und Berechnungen der Wissenschaftler sich als zutreffend erweisen, würden in Frankreich durch die Kennzeichnung aller Lebensmittel mit dem Nutri-Score sage und schreibe 7.680 Menschen pro Jahr weniger an ernährungsbedingten Erkrankungen sterben.
Auch wenn die Ergebnisse dieser Studie möglicherweise nicht in vollem Umfang auf andere Länder übertragbar sind, weisen sie doch auf eine günstige Beeinflussung der Lebensmittelauswahl hin (allen voran der Nutri-Score), mit der letzten Endes sogar Todesfälle verhindert werden könnten. „Es gibt kein echtes Argument mehr gegen den Nutri-Score“, betont Barbara Bitzer, Sprecherin der Deutschen Allianz Nichtübertragbare Krankheiten (DANK). „Auch der Vorwurf, er würde die Kalorienaufnahme nicht beeinflussen, ist spätestens jetzt entkräftet. Ernährungsministerin Julia Klöckner muss diese überwältigenden Nachweise endlich zur Kenntnis nehmen und den Nutri-Score in Deutschland einführen.“
Quellen einblenden
- Deutsche Allianz Nichtübertragbare Krankheiten (2019): Nutri-Score senkt die Kalorienaufnahme – und die Zahl der Herzinfarkte. Pressemitteilung vom 27.08.2019
- Manon Egnell, Paolo Crosetto, Tania D’Almeida et al. (2019): Modelling the impact of different front-of-package nutrition labels on mortality from non-communicable chronic disease. International Journal of Behavioral Nutrition and Physical Activity 16: Seite 56ff
verfasst von Dr. oec. troph. Christina Bächle am 1. Oktober 2019 um 06:21
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