Nahrungsmittelallergien genetisch betrachtet
Autor/in: Dr. oec. troph. Christina Bächle,
Redaktion: Dr. Bertil Kluthe
© Kluthe-Stiftung Ernährung und Gesundheit
Donnerstag, 30. November 2017
Wissenschaftler aus Deutschland und den USA haben fünf Genorte identifiziert, die für die Entstehung von Nahrungsmittelallergien im Kindesalter von Bedeutung sind. Ihre Ergebnisse wurden vor kurzem in der Fachzeitschrift „Nature Communications“ veröffentlicht.
Von hundert Kindern haben etwa fünf bis acht Kinder eine Nahrungsmittelallergie. Nahrungsmittelallergien treten meist schon in den ersten Lebensjahren auf, wobei manche Allergien wie Hühnerei- und Kuhmilchallergien in vielen Fällen innerhalb von wenigen Jahren wieder abklingen. Anders verhält es sich mit einer Erdnussallergie. Sie bleibt meist bestehen und ist häufig mit so starken allergischen Reaktionen verbunden, dass Betroffene ihr Leben lang eine strenge Diät einhalten müssen und stets Notfallmedikamente bei sich tragen sollten.
Die Entstehungsgeschichte von Nahrungsmittelallergien ist komplex. Wissenschaftler gehen davon aus, dass ein Zusammenspiel zwischen genetischen und Umweltfaktoren zur Entstehung von Nahrungsmittelallergien führen kann. „Aufgrund von Zwillingsstudien vermuten wir, dass das Risiko einer Nahrungsmittelallergie zu etwa 80 Prozent von erblichen Faktoren bestimmt wird“, erläutert Prof. Young-Ae Lee, Wissenschaftlerin am Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC) Berlin und Leiterin der Hochschulambulanz für Pädiatrische Allergologie, Charité-Universitätsmedizin Berlin. Allerdings sei bislang noch wenig über die genetischen Risikofaktoren bekannt, fährt Prof. Lee fort.
In der nach eigenen Angaben weltweit größten Studie zu den genetischen Ursachen von Nahrungsmittelallergien haben Prof. Young und ihre Kollegen das Erbgut von rund 1500 Kindern mit einer diagnostisch gesicherten Nahrungsmittelallergie in Deutschland und den USA analysiert. Hierfür haben die Wissenschaftler über fünf Millionen Varianten im Erbgut, sogenannte SNPs, bei jeder Probandin / jedem Probanden untersucht. Anschließend wurde die Häufigkeit der SNPs mit jener in einer Kontrollgruppe ohne Nahrungsmittelallergien untersucht. Auf diese Weise fanden die Wissenschaftler fünf Genorte, die mit der Entstehung von Nahrungsmittelallergien zu tun haben könnten. Vier dieser Genorte stimmen stark mit Genorten überein, die mit Krankheiten wie Neurodermitis und Asthma sowie chronisch entzündlichen Erkrankungen wie Morbus Crohn, Schuppenflechte und Autoimmunerkrankungen assoziiert sind.
Der fünfte identifizierte Genort könnte spezifisch für Nahrungsmittelallergien im Kindesalter sein. Dafür spricht, dass dieser Genort bei allen Kindern mit einer Nahrungsmittelallergie aktiv war. Es handelt sich um das sogenannte SERPINB-Gencluster auf Chromosom 18, das verschiedene Serinproteaseinhibitoren codiert. Da die Gene dieser Gruppe hauptsächlich in der Haut und der Schleimhaut der Speiseröhre exprimiert werden, vermuten die Wissenschaftler, dass sie für die Aufrechterhaltung der Barrierefunktion der Haut beziehungsweise Schleimhaut von Bedeutung sind. Von Interesse dürfte auch die Tatsache sein, dass vier der fünf aktuell identifizierten Genorte mit allen Nahrungsmittelallergien assoziiert waren. Eine Ausnahme scheint lediglich der Erdnussallergie-spezifische HLA-Genort zu sein.
Die Wissenschaftler der aktuellen Studie gehen davon aus, mit ihren Erkenntnissen zur Entwicklung besserer diagnostischer Tests für Nahrungsmittelallergien beizutragen. Ihre Erkenntnisse könnten außerdem bei der Erforschung ursächlicher Mechanismen und möglicher Therapien helfen. Beim Verdacht auf eine Nahrungsmittelallergie sollten Eltern sich zunächst an Spezialisten wenden und nicht auf eigene Faust bestimmte Nahrungsmittel aus dem Speiseplan ihrer Kinder streichen, raten die Forscher.
Quellen einblenden
- Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (2017): Mehr Klarheit zu erblichen Ursachen der Nahrungsmittelallergie im Kindesalter. Presseinformation vom 24.10.2017
- I. Marenholz, S. Grosche, B. Kalb et al. (2017): Genome-wide association study identifies the SERPINB gene cluster as a susceptibility locus for food allergy. Nauture Communications 8: Seite 1056ff.
verfasst von Dr. oec. troph. Christina Bächle am 30. November 2017 um 09:21
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