Nationale Diabetes-Strategie bleibt (vorerst) ein Papiertiger
Autor/in: Dr. oec. troph. Christina Bächle,
Redaktion: Dr. Bertil Kluthe
© Kluthe-Stiftung Ernährung und Gesundheit
Donnerstag, 6. Mai 2021
Trotz Ankündigung und Verabschiedung einer nationalen Strategie zur Prävention von Typ-2-Diabetes und zu einer verbesserten individualisierten Diabetestherapie hat sich wenig bewegt. Der letzte Runde Tisch des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft zur „Ernährung bei Diabetes Typ 2“ gibt Anlass zum Rückblick über die aktuelle Legislaturperiode.
An dem Gespräch Mitte April nahmen Wissenschaftler des Deutschen Zentrums für Diabetesforschung (DZD), Vertreter der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) und anderer Verbände teil. Obwohl das Thema eigentlich „Ernährung bei Diabetes Typ 2“ lautete, standen im Mittelpunkt des Runden-Tisch-Gesprächs eher Fragen der allgemeinen Ernährungskompetenz und -bildung. Zwar müsse diese auch gestärkt werden, meint DDG-Präsidentin Prof. Dr. med. Monika Kellerer. Dies reiche allerdings nicht aus: „Wir erwarten daher spätestens im nächsten Koalitionsvertrag ein klares Bekenntnis zu mehr gesetzgeberischer Verbindlichkeit, um die bedrohliche Adipositas-und Diabetes-Pandemie einzudämmen.“
Derzeit werden in neun von zehn Werbespots, die Kinder im Fernsehen und Internet sehen, Fast Food, Snacks und Süßes beworben. „Daran wird auch die Neufassung der freiwilligen, unverbindlichen Empfehlungen zum Marketing für Kinderlebensmittel, die das BMEL jetzt mit dem ZAW [Zentralverband der Deutschen Werbewirtschaft] auf den Weg gebracht hat, wenig ändern“, prophezeit DDG-Geschäftsführerin Barbara Bitzer. Die von der Industrie selbst entwickelten Empfehlungen sind nach wie vor unverbindlich und vage formuliert und entsprechen keinesfalls den Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation. „Wir brauchen gesetzgeberische Maßnahmen auf Bundesebene, vergleichbar mit dem Tabakwerbeverbot„, fordert Bitzer.
Um einen Durchbruch bei der Prävention von Adipositas, Diabetes und weiteren chronischen Erkrankungen zu erzielen, sind verbindliche gesamtgesellschaftliche Maßnahmen entscheidend. Die Diabetesexperten empfehlen neben der gesetzlichen Kontrolle der Werbung für Kinderlebensmittel die Einführung einer „Gesunden Mehrwertsteuer„, bei der gesunde Lebensmittel mit geringem Zucker-, Fett- und/oder Salzgehalt steuerlich entlastet werden, verbindliche Ernährungsstandards für das Essen an Kitas und Schulen sowie eine Stunde Bewegung am Tag für Kinder und Jugendliche. „Bereits während der Schwangerschaft und in der Kindheit werden die Grundlagen für die späteren Ernährungsgewohnheiten eines Menschen gelegt. Daher darf man vor allem die gesunde Ernährung von Kindern und Jugendlichen keinesfalls dem Zufall überlassen„, warnt Prof. Dr. Kellerer.
Auch beim zweiten Ziel der Nationalen Diabetes-Strategie, der Forcierung einer individualisierten Diabetestherapie, besteht nach wie vor Handlungsbedarf. Es ist bekannt, dass nicht alle Menschen dieselbe und gleich intensive Ernährungsberatung benötigen. „Wissenschaftlich lassen sich Risikogruppen identifizieren – auch unter den Menschen mit Diabetes Typ 2. Für diese sind dann maßgeschneiderte Ernährungsprogramme anzubieten„, fordert Professor Dr. med. Andreas Fritsche, einer der Studienleiter der vom DZD initiierten Prädiabetes-Lebensstil-Interventions-Studie (PLIS). „Um zu verlässlichen Bewertungen von ernährungspräventiven Maßnahmen zu kommen, ist es wichtig, die Expertise weiterer Forschungseinrichtungen und Wissenschaftler zu nutzen sowie sich auch mit anderen Ministerien wie dem BMBF und dem Bundesgesundheitsministerium (BMG) zu vernetzen„, ergänzt die DZD-Sprecherin Professor Dr. Annette Schürmann.
„Wir haben uns über die Einladung zum Runden Tisch gefreut und schätzen das Engagement der Ministerin, beim Thema gesunde Ernährung voranzukommen„, bilanziert DDG-Präsidentin Kellerer. „Doch solche Veranstaltungen bringen im Sinne der Bürgerinnen und Bürger nur dann etwas, wenn klare Ziele angestrebt, gemeinsam diskutiert und konkrete Schritte identifiziert werden.“ DDG und DZD hoffen nun, dass in der nächsten Legislaturperiode wirkungsvolle Maßnahmen zur Förderung eines gesunden Lebensstils seitens des Gesetzgebers umgesetzt werden – damit die Nationale Diabetes-Strategie kein Papiertiger bleibt.
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- Deutsches Zentrum für Diabetesforschung (DZD), Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) (2021): Runder Tisch beim BMEL zur Ernährung bei Diabetes Typ 2 endet ohne Ergebnisse. Pressemitteilung vom 14.04.2021
verfasst von Dr. oec. troph. Christina Bächle am 6. Mai 2021 um 08:44
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