Süßstoff und Diabetes – eine Verbindung mit Hindernissen
Autor/in: Dr. oec. troph. Christina Bächle,
Redaktion: Dr. Bertil Kluthe
© Kluthe-Stiftung Ernährung und Gesundheit
Donnerstag, 9. Oktober 2014
Süßstoff in hohen Dosen kann den Glukosestoffwechsel stören und das Diabetesrisiko erhöhen. Auch wenn noch viele Fragen unbeantwortet sind, dürften die Ergebnisse, die Wissenschaftler des Weizman-Instituts in Rehovot (Israel) kürzlich in der renommierten Fachzeitschrift Nature veröffentlichten, die Diskussion um den Einsatz von Süßstoff bei Diabetes anheizen.
Wenn Menschen mit Übergewicht, Diabetes oder beidem zu Süßstoff und mit Süßstoff gesüßten Lebensmitteln greifen, erhoffen sie sich davon meist auch gesundheitliche Vorteile, insbesondere eine Gewichtsabnahme durch das Einsparen von Kalorien und eine Verbesserung des Blutzuckerwerts. Doch sind diese Hoffnungen berechtigt? Anlass zum Zweifel geben zum einen die zunehmende Prävalenz von Diabetes und Adipositas in der Bevölkerung bei gleichzeitigem Siegeszugs von Süßstoff in den letzten Jahren (zum Beispiel in gesüßten Getränken) und zum anderen die Beobachtung, dass es viele Menschen trotz einer (süßstoffhaltigen) Reduktionskost nicht schaffen, abzunehmen und ihren Glukosestoffwechsel zu verbessern. Kann es also sein, dass Süßstoff keinen positiven Effekt auf Menschen mit Übergewicht und Diabetes hat oder gar kontraindiziert ist?
Beobachtungsstudien unter realen Bedingungen sind geeignet, um Hypothesen zu generieren. Wenn jedoch Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge untersucht werden sollen (in diesem Fall die Auswirkungen der Süßstoffaufnahme auf den Glukosestoffwechsel), sind kontrollierte Experimente notwendig. Hierdurch kann ausgeschlossen werden, dass Begleitfaktoren die Ergebnisse verfälschen. Mit Hilfe einer Versuchsreihe versuchten die Wissenschaftler, den Zusammenhang zwischen der Süßstoffaufnahme und dem Glukosestoffwechsel zu ergründen. Die ersten Versuche erfolgten mit Mäusen, deren Stoffwechsel dem der Menschen ähnlich ist, später nahmen Menschen an den Untersuchungen teil.
Die Wissenschaftler stellten fest,
- dass Mäuse, die leicht mit Süßstoff gesüßtes Trinkwasser erhielten, nach elf Wochen eine ausgeprägte Glukoseintoleranz aufwiesen, Glukose also deutlich schlechter verstoffwechseln konnten als Tiere, die stattdessen normales Wasser oder Zuckerwasser zu trinken bekommen hatten. Besonders ausgeprägt war der Effekt bei Mäusen, die den Süßstoff Saccharin erhalten hatten.
- dass Mäuse, die eine stark fetthaltige Kost erhielten (analog zu der Ernährung adipöser Menschen) und dazu mit Saccharin in hoher Konzentration gesüßtes Trinkwasser, nach fünf Wochen eine Glukoseintoleranz entwickelt hatten, während dies nicht der Fall war, wenn die Tiere zur fetthaltigen Kost Zuckerwasser tranken.
Da Süßstoffe aufgrund ihrer Molekülstruktur kaum verstoffwechselt werden und stattdessen weitgehend unverändert nach der Passage des Magen-Darm-Trakts ausgeschieden werden, war dieses Ergebnis zunächst einmal verblüffend für die Forscher. Dann keimte ein Verdacht auf: Bei ihrem Weg durch den Magen-Darm-Trakt kommen Süßstoffe auch in Kontakt mit Darmbakterien. Sind diese vielleicht an der Entstehung der Glukoseintoleranz beteiligt?
Weitere Experimente bestätigten diesen Verdacht.
- Mäuse, die zusätzlich zur Süßstoff- oder Saccharin-Diät Breitbandantibiotika erhielten, hatten eine normale Glukosetoleranz, wohingegen keimfrei aufgezogene Mäuse, die in Kontakt mit Darmbakterien ihrer Artgenossen kamen, glukoseintolerant wurden.
- Weitere Versuche (unter anderem an Zellkulturen) zeigten, dass Saccharin das Gleichgewicht der Darmflora zugunsten von Bakterien des Stammes Bacterioides verschiebt. Ähnliches wurde bereits früher bei Menschen mit Adipositas beobachtet.
- In einer laufenden Ernährungsstudie zeigte sich außerdem, dass Menschen ohne Diabetes und mit einem vergleichbaren BMI in den vorherigen Monaten stärker an Gewicht zugenommen hatten, wenn sie viel Süßstoff gegessen hatten. Außerdem hatten die Süßstoffkonsumenten schlechtere Nüchternblutzuckerwerte, eine schlechtere Glukosetoleranz und eine andere Zusammensetzung der Darmflora als die Menschen ohne hohen Süßstoffkonsum und Gewichtszunahme während der letzten Monate. Lassen sich also die Ergebnisse aus den Mausexperimenten auf den Menschen übertragen?
- Dies scheint der Fall zu sein. Denn auch vier gesunde Menschen, die zuvor keinen Süßstoff zu sich genommen hatten, hatten innerhalb von einer Woche eine deutlich verschlechterte Glukosetoleranz, nachdem sie Saccharin in hohen Konzentrationen zu sich genommen hatten. Dies galt jedoch nur für diesen Teil der Probanden, bei den übrigen drei Versuchsteilnehmern blieb der Glukosestoffwechsel weitgehend unverändert. Ebenso zeigten sich Veränderungen der Darmflora lediglich bei den Teilnehmern mit einer geringeren Glukosetoleranz.
„Unsere Ergebnisse legen nahe, dass Süßstoffe sowohl bei Mäusen als auch bei Menschen eine Glukoseintoleranz begünstigen und diese durch Veränderungen der Darmflora vermittelt wird“, folgern die Autoren der Studie. Bislang sind jedoch noch viele Fragen offen. Unklar ist unter anderem, ob auch geringere Süßstoffmengen die Glukosetoleranz verschlechtern, auf welche Weise Süßstoffe die Darmflora beeinflussen, und weshalb dies zu einer geringeren Glukosetoleranz führt.
Quellen einblenden
- J. Suez, T. Korem, D. Zeevi, G. Zilberman-Schapira, C. A. Thaiss, O. Maza, et al. (2014): Artificial sweeteners induce glucose intolerance by altering the gut microbiota. Nature, Online-Vorabveröffentlichung
verfasst von Dr. oec. troph. Christina Bächle am 9. Oktober 2014 um 06:24
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Guten Tag Frau Büttner,
in dieser Studie wurden nur künstlich hergestellte Süßstoffe untersucht.
Viele Grüße
Christina Bächle
Frage: Gilt ihr Bericht auch für Stevia?