Viele Mängel bei Ratgeberbroschüren zur Säuglingsernährung: Fehler mit System?

Autor/in: , Redaktion: Dr. Bertil Kluthe
© Kluthe-Stiftung Ernährung und Gesundheit

Donnerstag, 27. März 2014

Fast vier Jahre sind vergangen, seit fundierte „Handlungsempfehlungen zur Säuglingsernährung und Ernährung der stillenden Mutter“ erarbeitet und veröffentlicht wurden. Doch das Ziel, widersprüchliche Empfehlungen auszumerzen und jungen Familien eine einheitliche, fundierte Orientierung in Sachen Säuglingsernährung an die Hand zu geben, wurde bis heute nicht erreicht.

Schoppenflasche
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Julia Hirsch und Prof. Dr. Christel Rademacher von der Hochschule Niederrhein (Mönchengladbach) verglichen die Inhalte von 33 bundesweit verfügbaren Ratgeberbroschüren zur Säuglingsernährung mit den Handlungsempfehlungen der Initiative „Gesund ins Leben – Netzwerk Junge Familie„. Diese Handlungsempfehlungen gelten seit 2010 als Goldstandard der Empfehlungen für Deutschland.

Im Mittelpunkt des Interesses der Wissenschaftlerinnen stand folgende Frage: Wie und wie gut sind die Handlungsempfehlungen zwei Jahre nach Veröffentlichung in Ratgeberbroschüren zur Säuglingsernährung umgesetzt?. Hirsch und Rademacher untersuchten die Umsetzung der Kernaussagen aus den Handlungsempfehlungen in den verschiedenen Ratgebermedien, die von Fachgesellschaften und Verbänden, Bundes- und Landesministerien, Krankenversicherungen und kommerziellen Unternehmen stammten. Wurden die Empfehlungen inhaltlich korrekt widergegeben, erhielten die Ratgeberbroschüren in der entsprechenden Kategorie die Wertung „vorhanden und korrekt„, bei inhaltlichen Fehlern lautete die Wertung „vorhanden und falsch„, fehlende Empfehlungen wurden mit „nicht vorhanden“ bewertet.

Das Ergebnis der Wissenschaftlerinnen offenbart einen deutlichen Nachbesserungsbedarf: Nur knapp ein Drittel (10 von 33) der untersuchten Ratgeberbroschüren konnten durch inhaltlich richtige und vollständige Empfehlungen überzeugen, die mit den Handlungsempfehlungen übereinstimmten. In fast der Hälfte der Broschüren (15 Broschüren) standen falsche oder missverständliche Empfehlungen und bei einem Viertel (8 Broschüren) fehlten wichtige Empfehlungen. Als wichtiges Kriterium für die Qualität der Ratgebermedien entpuppte sich der Verfasser: Die gut bewerteten Broschüren stammten von Fachgesellschaften, der öffentlichen Hand oder Krankenkassen, dagegen bestand in allen Schriften von Herstellern von Säuglingsnahrung, Babyausstattern und Unternehmen der Ernährungsindustrie Überarbeitungsbedarf.

Baby-Gläschen
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Dazu passt das Ranking der Empfehlungen, die nicht korrekt oder missverständlich wiedergegeben wurden: In 16 Ratgebern wurden Fehler bei den Empfehlungen zur Dauer des ausschließlichen Stillens gemacht. Laut Handlungsempfehlung sollte 4 bis 6 Monate gestillt werden, also mindestens bis zum Beginn des 5. Lebensmonats des Kindes und längstens bis zum Beginn des 7. Lebensmonats. In den Ratgebern waren dagegen häufig Aussagen zu lesen wie „höchstens vier Monate“, „bis vier Monate stillen“, aber auch „mindestens 6 Monate“. Auch der Zeitpunkt der Beikosteinführung wurde häufig falsch datiert.

Laut Handlungsempfehlungen ist eine ergänzende Flüssigkeitszufuhr erst mit der Einführung des dritten Breis (Getreide-Obst-Brei) erforderlich, 12 Broschüren gaben diesen Zeitpunkt allerdings falsch oder missverständlich wieder oder waren mit ihren vagen Bemerkungen wie „wenn die Kost fester wird“ oder „mit der Beikost“ wenig hilfreich.

Während Expertengremien sich einig sind, dass Folgemilchen zur Säuglingsernährung nicht notwendig sind, sehen die Verfasser von immerhin 11 der untersuchten Broschüren dies offenbar anders: Sie empfehlen die Fütterung mit Folgemilchen oder geben die Empfehlung, Folgemilchen frühestens mit Beginn der Beikostfütterung einzuführen nicht richtig wieder. Und hinsichtlich der Allergieprävention wurden häufig veraltete, wissenschaftlich nicht fundierte Empfehlungen publiziert.

Fazit: Wenn Eltern oder Multiplikatoren (Ernährungsberater, Frauenärzte, Kinderärzte, Hebammen etc.) zuverlässige, wissenschaftlich fundierte Empfehlungen suchen, sollten sie Ratgeber von Fachgesellschaften, Bundes- und Landesministerien oder Krankenkassen wählen. Nur in diesen Broschüren wurden die Handlungsempfehlungen für Säuglingsernährung und Ernährung stillender Mütter korrekt umgesetzt. Bei anderen Broschüren besteht Überarbeitungsbedarf. Nach Ansicht der Autorinnen sollten zwei Jahre zur Überarbeitung genügen, sodass bald ausschließlich qualitativ hochwertige Ratgeberbroschüren, die dem neuesten Stand der Forschung entsprechen, verfügbar sein sollten.

Quelle:
J. Hirsch, C. Rademacher (2014): Umsetzung der Handlungsempfehlungen des Netzwerkes „Gesund ins Leben“ in Ratgeberbroschüren zur Säuglingsernährung. Wie und wie gut sind die Handlungsempfehlungen nach zwei Jahren umgesetzt? Ernährungsumschau international 2: 27-31.

verfasst von am 27. März 2014 um 07:50

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