Warum Adipositas in wärmeren Klimazonen häufiger vorkommt
Autor/in: Dr. oec. troph. Christina Bächle,
Redaktion: Dr. Bertil Kluthe
© Kluthe-Stiftung Ernährung und Gesundheit
Dienstag, 30. Mai 2017
Evolutionäre Anpassungen könnten (mit) erklären, weshalb mehr Menschen in wärmeren Regionen fettleibig sind. THADA, ein Gen, welches das Gleichgewicht zwischen Körperwärme und Energiespeicherung reguliert, könnte dabei eine zentrale Rolle spielen.
Übergewicht und Adipositas entstehen unter anderem durch das Zusammenspiel ungünstiger Lebensstilfaktoren (Ernährung, Bewegung), psychosoziale Aspekte und eine familiäre Veranlagung. Sind genetische Veränderungen auch verantwortlich dafür, dass Menschen, die in wärmeren Klimazonen leben, häufiger fettleibig sind? „Eine gängige Theorie besagt, dass ein gedrosselter Stoffwechsel und damit geringere Wärmeproduktion eine Anpassung an die warme Umgebung sind. Die überschüssige Energie wird dann in Form von Fettpolstern gespeichert“, fasst Stoffwechselexperte Dr. Aurelio Teleman vom Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) zusammen. „Wenn das zutrifft, müsste es Gene geben, die die Balance zwischen Wärmeproduktion und Fettspeicherung steuern. Und diese Gene sollten sich bei verschiedenen Menschen – abhängig vom Breitengrad – unterscheiden.“
Tatsächlich fanden Teleman und seine Kollegen bei ihrer Recherche ein Gen namens THADA, das diese Voraussetzungen erfüllt. Menschen verschiedener Klimazonen unterscheiden sich auffallend stark in diesem Gen, was darauf schließen lässt, dass es Schauplatz ausgeprägter evolutionärer Anpassungen war. „Wir hatten allerdings keine Vorstellung davon, welche Funktion oder Aufgabe THADA im Organismus ausübt und ob es tatsächlich in die Stoffwechselregulation eingreift“, erläutert Teleman den Ausgangspunkt der aktuellen Studie. „Um das herauszufinden, haben wir das Gen bei Fruchtfliegen ausgeschaltet.“
Die Experimente zeigten: Fruchtfliegen ohne THADA fressen vergleichsweise viel, lagern Fett an und produzieren weniger Wärme. Daher leiden sie schnell unter Kälte. „Ihr Fett isoliert sie also nicht und wir konnten nachweisen, dass sie tatsächlich weniger Wärme produzieren“, beschreibt Dr. Alexandra Morau. Im Gegensatz dazu sind „normale“ Fruchtfliegen (mit THADA) deutlich kältetoleranter und erholen sich schneller nach einer Kälteexposition.
Ein Blick hinter die Kulissen offenbarte, dass THADA die Aktivität einer zellulären Kalziumpumpe beeinflusst. Fehlt THADA, steigt die Aktivität dieser Pumpe enorm an. Drosselten die Wissenschaftler die Leistung dieser Kalziumpumpe bei Fruchtfliegen ohne THADA, schützte dies die Fruchtfliegen vor der sonst drohenden übermäßigen Fettanlagerung. „Dieses Ergebnis passt ins Bild: Seit kurzem wissen wir aus zahlreichen Arbeiten von Kollegen, dass Kalziumsignale ein wichtiges Steuerelement des Energiestoffwechsels sind. THADA greift also an zentraler Stelle in die Stoffwechselregulation ein“, resümiert Morau.
Da die THADA-Genvariante des Menschen den THADA-Verlust der genetisch veränderten Fruchtfliegen kompensieren kann, scheint THADA bei beiden Spezies vergleichbare Funktionen zu erfüllen.
Die neuen Ergebnisse der Wissenschaftler, die aktuell in der Fachzeitschrift Developmental Cell veröffentlicht wurden, leisten einen wichtigen Beitrag zur Erklärung der evolutionären Hintergründe der weltweiten Übergewichts/Adipositas-Problematik. Von besonderem Interesse ist für die Wissenschaftler dabei der kombinierte Einfluss von THADA auf Fettleibigkeit und Kälteempfindlichkeit. „THADA zählt zu den Genen, in denen sich seit der Trennung von Neandertaler und modernem Menschen die meisten Unterschiede angehäuft haben“, erläutert Teleman. „Auch später, als sich die modernen Menschen über verschiedene Klimazonen verbreitet haben, unterlag THADA weiterhin starker evolutionärer Anpassung. Unsere Ergebnisse legen nahe, dass sich die Menschen an verschiedene Klimazonen anpassen mussten, was ihre Veranlagung zur Fettleibigkeit gefördert hat.“ Ein reduzierter Stoffwechsel kann Menschen in warmen Klimazonen helfen, eine Überhitzung des Körpers zu vermeiden. „In Kombination mit unserer modernen Ernährungsweise führt dieser gedrosselte Energieverbrauch jedoch schnell zur Fettleibigkeit“, folgert Teleman.
Quellen einblenden
- A. Moraru, G. Cakan-Akdogan, K. Strassburger et al. (2017): THADA regulates the organismal balance between energy storage and heat production. Developmental Cell 41; Seite 72-81
- Deutsches Krebsforschungszentrum (DKFZ, 2017): Zum Abnehmen in die Arktis? Pressemitteilung vom 11.04.2017
verfasst von Dr. oec. troph. Christina Bächle am 30. Mai 2017 um 06:41
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