Wie lange habe ich noch zu leben?

Autor/in: , Redaktion: Dr. Bertil Kluthe
© Kluthe-Stiftung Ernährung und Gesundheit

Mittwoch, 20. Juli 2011

Diese bange Frage stellen sich schwer erkrankte Menschen. Aber auch mancher Gesunde würde gerne wissen, wie viel Zeit ihm bleibt und, falls möglich, in sein Schicksal eingreifen. Nach der Entschlüsselung des menschlichen Genoms ergründen Wissenschaftler nun die Ursache des Alterns. Erste Erkenntnisse führten zur Entwicklung spezieller Bluttests, mit denen zahlungswillige Kunden prüfen lassen können, wie lange sie noch zu leben haben. Aussagekraft und Nutzen solcher Tests sind jedoch umstritten.

Sport fördert die Gesundheit und kann so lebensverlängernd wirken.

Einen Baustein menschlichen Alterns haben Wissenschaftler bereits entdeckt: die Verkürzung sogenannter „Telomere“. In unseren Zellen befinden sich die Träger des Erbguts, die Chromosomen. Bei der Zellteilung wird deren genetische Information an die Tochterzellen weitergegeben (1). Zu ihrem Schutz haben die Chromosomen an den Enden eine Art Schutzkappe, ähnlich den Plastikenden von Schnürsenkeln. Diese Telomere halten jedoch nicht ewig, sie verkürzen sich mit jeder Zellteilung. Die Geschwindigkeit der Verkürzung ist individuell unterschiedlich.

Welche Folgen hat die Verkürzung der Telomere? Wenn die Telomere zu kurz oder gar nicht mehr vorhanden sind, können Schäden am Erbgut entstehen, die Zelle wird inaktiv oder stirbt ab. Der Körper beginnt dann zu altern, er wird anfälliger für typische, altersbedingte Erkrankungen wie Erkrankungen der Herzgefäße und Bluthochdruck, Krebs oder Alzheimer. Telomere werden deshalb auch als eine Art Lebensuhr angesehen, die das biologische Alter bestimmt.

Das Wissen von den Telomeren und der Bedeutung der Telomerenlänge haben sich bereits einige Firmen zunutze gemacht. Für die Tests geben die Kunden geringe Mengen Blut ab, was die Bestimmung der Telomerenlänge und somit des biologischen Alters ermöglichen soll. Außerdem erhalten die Kunden Vorschläge für eine gesunde Lebensführung, die sich positiv auf die Länge der Telomere und folglich ihre individuelle Lebenserwartung auswirken soll.

In einem Interview bei stern.de warnte Hans-Joachim Lipps vom Institut für Zellbiologie der Universität Witten/Herdecke vor vorschnellen Schlüssen: „Es gibt zwar einen gewissen Zusammenhang zwischen dem Alter und der Länge der Telomere“, sagte er „aber die Zukunft eines Menschen oder seine Anfälligkeit für Krankheiten lässt sich daraus nicht ableiten.“

Fraglich ist auch der Nutzen der Tests für den Einzelnen. „Um eindeutige Ratschläge zu geben, wissen wir noch zu wenig über die Bedeutung von kurzen Telomeren. Schlimmstenfalls verunsichert der Befund daher nur.“, so Lipps. Die Vision der Testanbieter, durch ein günstiges Verhalten die Telomerenlänge beeinflussen zu können, hält Lipps für übertrieben: „Bis jetzt gibt es keine Daten, die einen klaren Zusammenhang zwischen Lebensstil und Länge der Telomere erkennen lassen“.

Andere kritisieren die Schlußfolgerungen, die Firmen aus den Telomer-Tests ziehen: „Wenn Sie bei den Firmen auf die Internetseite gehen, werden Sie auch feststellen, dass zum jetzigen Zeitpunkt die einzige Konsequenz einer verkürzten Telomerlänge die ist, dass man dem Patienten dann raten würde, sich gesünder zu ernähren, viel Sport zu machen [und] Übergewicht zu vermeiden. Um diese Erkenntnis zu bekommen, muss man sicherlich keine Telomerlängenbestimmung durchführen, das wissen wir alle eigentlich auch so.“ (Prof. Andreas Günther, Internist und Pneumologe im Interview mit der Nachrichtensendung heute).

Die Anwendung des Telmerentests in der allgemeinen Bevölkerung ist unter Wissenschaftlern und Medizinern gleichermaßen umstritten. Noch bestünden zu viele offene Fragen und Unklarheiten bei der Methodik der Tests und der Interpretation der Ergebnisse. Kritiker befürchten zudem einen Missbrauch der Testergebnisse, etwa durch Versicherungen oder Arbeitgeber.

(1) Die Zellteilung ist der biologische Vorgang, der das Wachstum und die Fortpflanzung aller Lebewesen ermöglicht. Bei jeder Zellteilung entstehen aus einer alten Zelle zwei neue Zellen (sogenannte Tochterzellen). Der Prozess der Zellteilung wird im Organismus streng überwacht. Verliert der Körper die Kontrolle über die Teilung bestimmter Zellarten, können Wucherungen, Geschwüre oder Tumore entstehen.

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Zum Weiterlesen

Deutsches Ärzteblatt (18.05.2012): Warum eine persönliche „Genom-Analyse“ Unsinn ist

verfasst von am 20. Juli 2011 um 06:20

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