Warum sich über (bitteren) Geschmack streiten lässt…
Autor/in: Dr. oec. troph. Christina Bächle,
Redaktion: Dr. Bertil Kluthe
© Kluthe-Stiftung Ernährung und Gesundheit
Mittwoch, 28. Oktober 2015
Unsere Wahrnehmung für bittere Geschmacksrichtungen hängt von den Genvarianten der Bitterstoffrezeptoren ab, über die wir verfügen. Dies führt dazu, dass manche von uns Bitterstoffe in Artischocken schmecken, andere dagegen nicht. Absinth wird dagegen von uns allen gleichermaßen als bitter eingestuft.
Zwar sind nicht alle bitteren Lebensmittel tatsächlich giftig, dennoch gehen auch Wissenschaftler im Allgemeinen davon aus, dass die Wahrnehmung für bittere Geschmacksrichtungen uns vor dem Verzehr giftiger Nahrung schützen soll. Umso erstaunlicher mutet es dann an, dass manche bitteren Geschmacksrichtungen von Menschen durchaus unterschiedlich wahrgenommen werden. Die Erklärung hierfür liegt in den Genen, wie Wissenschaftler des Deutschen Instituts für Ernährungsforschung (DIfE) und der Universität von Kalifornien kürzlich berichteten.
Die Geschmackswahrnehmung erfolgt über sekundäre Sinneszellen, sogenannte Geschmacksrezeptoren, die in die Mundhöhle hineinragen. Bislang sind allein 25 Bitterrezeptoren bekannt, die einen bitteren Geschmacksstoff erkennen, allerdings mit unterschiedlicher Empfindlichkeit (Sensitivität). Fällt ein Rezeptor aus, führt dies nur in sehr seltenen Fällen zum Verlust der Wahrnehmung bestimmter Geschmacksstoffe. Mit Hilfe von genetischen und sensorischen Untersuchungen an 48 Probanden konnten die Wissenschaftler nun nachweisen, dass die Geschmackswahrnehmung auch davon abhängt, wie die Rezeptorgenvarianten auf den Chromosomen verteilt sind. Denn meist werden bestimmte Genvarianten nicht einzeln, sondern gruppenweise vererbt.
Wie war das nun mit der Artischocke und dem Absinth? Der Bitterstoff der Artischocke, Grosheimin, wird vor allem von zwei Bitterrezeptoren erkannt, und zwar TAS2R43 und TAS2R46. Da die Gene für beide Rezeptoren sehr eng beieinander auf einem Chromosom liegen, werden beide Rezeptoren meist gemeinsam vererbt. Von beiden Rezeptoren gibt es jeweils eine Grosheimin-sensitive und eine Grosheimin-insensitive Variante, allerdings werden stets entweder beide sensitiven oder beide insensitiven Rezeptorvarianten gemeinsam vererbt. Laut den Gesetzen der Vererbungslehre verfügen damit ein Viertel aller Menschen über zwei insensitive Rezeptorvarianten. Sie können Grosheimin nur in sehr hohen Konzentrationen wahrnehmen, da dann andere Bitterrezeptoren anspringen. Hat ein Mensch jedoch die beiden sensitiven Rezeptorvarianten, genügen bereits geringe Grosheiminkonzentrationen zur Wahrnehmung des Bittergeschmacks.
Auch für den Bitterstoff von Absinth, Absinthin, sind zwei spezifische Bitterrezeptoren vorgesehen: TAS2R30 und den TAS2R46. Ebenso wie bei dem Artischocken-Bitterstoff Grosheimin liegen die Gene für die Geschmacksrezeptoren von Absinthin dicht beieinander auf demselben Chromosom. Im Vergleich zu den Grosheimin-Rezeptoren sind die Genvarianten für die Absinthin-Rezeptoren aber anders verteilt. Liegt TAS2R30 in seiner sensitiven Form vor, so ist TAS2R46 Absinthin-insensitiv und umgekehrt. Damit gibt es immer wenigstens einen spezifischen Absinthin-Rezeptor, der auf den Bitterstoff reagiert.
„Wie unsere Ergebnisse zeigen, beeinflussen die Gene unser Geschmacksempfinden nicht unwesentlich. Zudem belegen sie, dass die genetischen Mechanismen, welche die Wahrnehmung von Bitterstoffen beeinflussen, sehr viel komplexer sind als ursprünglich angenommen“, erläutert die an der Studie beteiligte Dr. Natacha Roudnitzky. Ihr Kollege Prof. Dr. Wolfgang Meyerhof, Leiter der Abteilung Molekulare Genetik am DIfE, ergänzt: „Unser Ziel ist es, noch mehr über die biologischen Grundlagen der menschlichen Geschmackswahrnehmung zu erfahren, um besser zu verstehen, wie diese neben anderen Sinnen und kulturellen Gewohnheiten unsere Nahrungsauswahl und unser Ernährungsverhalten beeinflusst.“ Die Ergebnisse tragen dazu bei, die Entstehung individueller Nahrungsvorlieben besser zu verstehen. Zukünftig, so hoffen die Wissenschaftler, könnten daraus neue Methoden entwickelt werden, die ein gesünderes Ernährungsverhalten unterstützen.
Quellen einblenden
- DIfE (2015): Warum Bitterstoffe aus Artischocken nicht immer bitter schmecken, aus Absinth aber schon. Pressemitteilung vom 08.10.2015.
- N. Roudnitzky, M. Behrens, A. Engel, S. Kohl, S. Thalmann, S. Hübner, K. Lossow, S. P. Wooding, W. Meyerhof (2015): Receptor polymorphism and genomic structure interact to shape bitter Taste perception. PLOS Genetics 11(9): e1005530
verfasst von Dr. oec. troph. Christina Bächle am 28. Oktober 2015 um 07:08
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