Essstörungen - Binge Eating Disorder

Definition

Bei der Binge Eating Disorder handelt es sich um einen relativ neuen Begriff, der sich am besten mit "Essattacken - Störung" übersetzen lässt. Allerdings ist auch in Deutschland die Verwendung des angloamerikanischen Begriffs üblich.

Die American Psychiatric Association erkannte die Binge Eating Disorder erst spät als eigenständige Essstörung an. Eine entsprechende Einstufung erfolgte erstmals in der fünften Auflage des Klassifikationssystems Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM), die im Mai 2013 herausgegeben wurde. Vorab waren im DSM nur Anorexia nervosa und Bulimia nervosa als Essstörungen näher beschrieben, alle anderen Störungen der Nahrungsaufnahme liefen unter "nicht weiter spezifizierten" Essstörungen.

Häufigkeit und Ursachen

Amerikanischen Schätzungen zufolge sind etwa zwei bis dreieinhalb Prozent der Bevölkerung von einer Binge Eating Disorder betroffen. Damit ist es die am häufigsten auftretende Essstörung. Bei den Übergewichtigen liegt der Anteil bei 5 Prozent, in Gruppen zur Gewichtsreduktion bei 30 Prozent.

Anders als bei einer Anorexie und einer Bulimie gibt es keine typische Altersgruppe. Außerdem ist der Anteil an Männern bei dieser Essstörung deutlich höher. Zirka ein Drittel der Betroffenen sind Männer.

Genaue Ursachen sind bisher nicht bekannt. Erfahrungen der Baseler Universitätsklinik zeigten drei Faktoren als mögliche Ursachen: Übergewicht bereits im Kindesalter, kohlenhydratarme, fettreiche Ernährung sowie Probleme im Umgang mit Konflikten.

Außerdem zeigten Untersuchungen, dass etwa die Hälfte der Betroffenen schon einmal depressiv war. Ob eine Depression Binge Eating verursacht oder ob sie Teil der Krankheit ist, ist derzeit nicht bekannt.

Befragungen von Patienten zeigten, dass negative Gefühle wie Ärger, Frust etc. Auslöser von Essattacken sind, d. h. die Essattacken treten häufig in Zeiten psychischer Belastungen auf. Durch das Essen, das allgemein mit positiven Gefühlen assoziiert wird, sollen die negativen Gefühle kompensiert werden. Verschiedene Studien haben ergeben, dass viele Menschen mit emotionalen Schwierigkeiten unfähig sind, Hunger von anderen unbehaglichen Gefühlen zu unterscheiden.

Wie auch bei den anderen Essstörungen berichten die Betroffenen häufig über eine lange andauernde Unzufriedenheit mit der eigenen Figur und über eine Vielzahl an Diätversuchen.

Auch bei der Binge Eating Disorder haben Modetrends, Schlankheitswahn und der Überfluss an Nahrungsmitteln bei der Entwicklung der Krankheit einen großen Einfluss.

Diagnose

Die Binge Eating Disorder weist zwar Gemeinsamkeiten mit der Bulimie auf, jedoch gibt es auch einige Unterschiede. Kriterien für die Diagnose der Binge Eating Disorder sind im Folgenden zusammengefasst.

Diagnostische Kriterien der Binge Eating Disorder (DSM-IV-Kriterien)


Regelmäßige Essanfälle mit folgenden Merkmalen
- übergroße Nahrungsaufnahme in einem abgrenzbaren Zeitraum
- Kontrollverlust während des Essanfalls
Die Essanfälle sind mit mind. drei der folgenden Merkmale verbunden
- es wird wesentlich schneller gegessen als normal
- es wird gegessen, bis man sich unangenehm voll fühlt
- es werden große Mengen ohne wahrnehmbaren Hunger gegessen
- es wird allein gegessen, weil es einem peinlich ist, wie viel man isst
- nach dem übermäßigem Essen treten Ekel, Depression und Schuldgefühle auf
Seelisches Befinden
merkliche Verzweiflung hinsichtlich der Essanfälle
Häufigkeit der Essanfälle
im Durchschnitt an mindestens zwei Tagen pro Woche über sechs Monate
Kein Kompensationsverhalten
keine abführenden Maßnahmen, Fasten oder exzessiver Sport
kein Auftreten im Verlauf einer Anorexia nervosa oder Bulimia nervosa

Für die Diagnose ist eine ausführliche Anamnese erforderlich. Da während der Fressattacken überwiegend Nahrungsmittel verzehrt werden, die kohlenhydrat- und fettreich sind und die nur wenige Vitamine und Mineralstoffe enthalten, weisen die Betroffenen häufig Mangelerscheinungen auf.

Symptome

Wie bei der Bulimia nervosa sind beim Binge Eating wiederkehrende Heißhungeranfälle das Hauptmerkmal. In den meisten Fällen verlieren die Betroffenen während der Anfälle die Kontrolle. Anders als bei der Bulimie fehlen jedoch entsprechende Kompensationsmaßnahmen wie Erbrechen, Missbrauch von Abführmitteln etc. Wegen der hohen Kalorienaufnahme während eines solchen Essanfalls entwickeln viele Betroffene mit der Zeit Übergewicht. Sie unterscheiden sich in ihrem Essverhalten jedoch von einem "typischen" Übergewichtigen. Während Adipöse ständig zu viel essen, haben Übergewichtige mit Binge Eating Disorder gelegentliche Fressanfälle.

Die Anfälle sind mit Ekelgefühl gegen sich selbst, Niedergeschlagenheit, Scham und Schuldgefühlen verbunden. Oft wird im Bemühen um Kontrolle versucht, weitere Essattacken zu unterdrücken. Scheitert dieser Versuch, ziehen sich die Betroffenen häufig zurück und leben ihre Essattacken im Verborgenen aus. Sie können ihre Sucht meist vor Familie und Freunden gut verstecken.

Therapie

Für die Behandlung der Binge Eating Disorder bestehen recht gute Erfolgsaussichten. Die verhaltenstherapeutische Therapie ähnelt der der Bulimie. Es werden zwei Ziele verfolgt:

  1. Normalisierung des Essverhaltens
  2. Behandlung der zugrunde liegenden seelischen Konflikte

Die Normalisierung des Essverhaltens soll z. B. durch gemeinsame Einkäufe, Kochen und Essen in der Gruppe sowie durch eine Anleitung zu bewusstem Essen erfolgen.

In den Therapiesitzungen lernen die Betroffene die Auslöser ihrer Essattacken kennen und üben neue Strategien ein, um mit den kritischen Situationen umgehen zu können, die bisher Auslöser waren. Um die Stimmungen, Gefühle und Gewohnheiten, die zu den Attacken führen, zu ermitteln, können die Betroffenen Tagebuch führen.

Da Patienten häufig ein gestörtes Körpererleben haben, sind auch Bewegungstherapie und Sport Bestandteile der Therapie.

Eine Diät gehört nicht zum Behandlungskonzept. Versuche der Gewichtsabnahme sollen unterlassen werden. Die Regulierung des Körpergewichts kann durch die Normalisierung des Essverhaltens erfolgen.