Alles eine Frage des Lebensstils?
Autor/in: Dr. oec. troph. Christina Bächle,
Redaktion: Dr. Bertil Kluthe
© Kluthe-Stiftung Ernährung und Gesundheit
Freitag, 23. November 2012
Patienten mit Diabetes haben ein erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Bisher wurde davon ausgegangen, dass eine Veränderung des Lebensstils sich günstig auf den Verlauf des Diabetes auswirkt und das Risiko für Herzinfarkt, Schlaganfall und Co. sinkt. Aktuelle Studienergebnisse lassen jedoch Zweifel am Nutzen von Lebensstilinterventionen aufkommen.
In der Look AHEAD Studie untersuchten amerikanische Wissenschaftler die Auswirkung einer Lebensstil-Intervention auf die Gesundheit der Probanden. Das Hauptaugenmerk der Studie lag auf dem Auftreten von Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems. An der Studie konnten übergewichtige, an Typ-2-Diabetes erkrankte Menschen im Alter von 45-75 Jahren teilnehmen. Alle 5145 Probanden wurden zufällig auf zwei Gruppen verteilt. Die Interventionsgruppe unterzog sich einem intensivierten Programm zur Änderung des Lebensstils. Dieses bestand aus einer Anleitung zur Steigerung der körperlichen Aktivität sowie Unterstützung bei der Durchführung von Veränderungen. Außerdem wurden die Probanden dieser Gruppe ausführlich über eine kalorienreduzierte Ernährung informiert. Durch die intensivierte Lebensstiländerung sollten die Teilnehmer der Interventionsgruppe ihr Gewicht um sieben Prozent reduzieren und über 175 Minuten pro Woche körperlich aktiv sein. Die Teilnehmer der Kontrollgruppe nahmen an einer allgemeinen Diabetesschulung teil. Beide Gruppen wurden medizinisch betreut und in regelmäßigen Abständen nachbeobachtet.
Der Erfolg des Programms zur intensiven Lebensstiländerung kann sich sehen lassen: Nach einem Jahr hatten die Probanden der Interventionsgruppe im Mittel acht Prozent ihres Ausgangsgewichts verloren und auch nach vier Jahren wogen die Probanden etwa fünf Prozent weniger als zum Beginn der Studie. Zum Vergleich: Die Gewichtsabnahme der Kontrollgruppe betrug lediglich ein Prozent. Die Probanden der Interventionsgruppe profitierten auch in anderen Bereichen: Ihr HbA1c-Wert sank leicht, ebenso wie der systolische und diastolische Blutdruck und der Triglyzeridspiegel. Während der „schlechte“ LDL-Cholesterin-Spiegel unverändert blieb, stieg die Konzentration des „guten“ HDL-Cholesterins an. Außerdem konnte die Dosis von Diabetesmedikamenten reduziert werden, die Probanden litten seltener unter Schlafapnoe, waren körperlich fitter und hatten mehr Freude am Leben.
Allerdings zeigte sich auch nach elf Jahren (noch) kein signifikanter Unterschied zwischen den beiden Gruppen, wenn die Häufigkeit von Herz-Kreislauf-Ereignissen wie Schlaganfall und Herzinfarkt verglichen wurde. Dies führte dazu, dass der Geldgeber der Studie, das amerikanische National Institute of Health, sich entschied, die Finanzierung einzustellen.
Heißt dies nun, dass tiefgreifende Lebensstiländerungen von vorneherein sinnlos sind? Experten warnen vor einem Trugschluss. Für die ausgebliebene Verbesserung der Prognose von Herz-Kreislauf-Erkrankungen haben sie mehrere Erklärungen:
- Die Intervention war nicht intensiv genug. Die Teilnehmer hatten zu Beginn einen mittleren BMI von 36 kg/m2. Selbst nach einer Gewichtsabnahme von fünf Prozent waren sie noch adipös (BMI ca. 32,5 kg/m2).
- Die Lebensstilintervention setzte zu spät an, als die Probanden schon mehrere Jahre Diabetes hatten. Möglicherweise hätten die Ergebnisse bei früherer Initiative anders ausgesehen.
- Die Beobachtungszeit war zu kurz, um Unterschiede aufgrund einer Veränderung des Risikoprofils aufzudecken.
Was wohl die Probanden gesagt hätten, wenn man sie gefragt hätte, was sie vom vorzeitigen Abbruch der Studie halten? Betrachtet man alleine die unmittelbaren gesundheitlichen Auswirkungen, die während der Studiendauer durch eine Veränderung des Bewegungs- und Ernährungsverhaltens erreicht wurden sowie die von den Probanden berichtete Verbesserung der Lebensqualität und ihrer körperlichen Mobilität, hat sich das Programm wahrscheinlich schon gelohnt.
Quelle:
National Institute of Health (2012): Weight loss does not lower heart disease risk from type 2 diabetes. Pressemitteilung vom 19.10.2012.
Zum Weiterlesen
- Ärzteblatt.de (03.12.2012): Schon kurze Beratungsgespräche können Lebensstil verändern
- Ärzteblatt.de (4.12.2012): Kardiovaskuläre Sekundärprävention: Diät übertrifft Medikament
verfasst von Dr. oec. troph. Christina Bächle am 23. November 2012 um 07:02
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Vielen Dank für diesen sehr interessanten Artikel.
Es ist schade, dass das Senken des Risikos so nicht bewiesen werden konnte. Wie im Artikel sehr schön angemerkt, ist es aber doch außerdem sehr wichtig, dass die Teilnehmer ihre Lebensqualität steigern konnten, das Gewicht senken konnten und somit auch ihre Zufriedenheit erhöhen könnten. Dass die Studie trotzdem agebrochen wurde, finde ich absolut nicht nachzuvollziehen.
Menschen mit dieser Erkrankung und vor allem den Teilnehmern der Studie wird so der Mut genommen, dass eine Umstellung des Lebensstils positive Konsequenzen mit sich zieht.
Mit freundlichen Grüßen
Elena Zacker