Vorsicht bei der Einnahme von Vitaminpräparaten!

Autor/in: , Redaktion: Dr. Bertil Kluthe
© Kluthe-Stiftung Ernährung und Gesundheit

Mittwoch, 15. Februar 2012

Gerade in der Winterzeit werden häufig Vitamin- und Mineralstoffpräparate zur Unterstützung des Immunsystems und als Schutz vor Erkältungen eingenommen. Jeder dritte Bundesbürger kauft sogar regelmäßig Vitamin-, Mineralstoff- oder Brausetabletten zur Nahrungsergänzung in der Drogerie oder im Supermarkt. Mit der Einnahme in konzentrierter Form steigt jedoch das Risiko für eine Überversorgung. Und dann können die eigentlichen Helfer sogar schaden.

Bereits in den 90er Jahren zeigten zwei große Studien, dass Raucher/Asbestarbeiter, die ß-Carotin und Vitamin E (Kontrollgruppe: nur Vitamin E; sog. ATBC-Studie) bzw. ß-Carotin und Vitamin A (Kontrollgruppe: Plazebo, sog. CARET-Studie) als Nahrungsergänzungsmittel einnahmen, häufiger an Lungenkrebs erkrankten als die Kontrollgruppen. Die Studien sorgten für großes Aufsehen, eine davon wurde sogar wegen ethischer Bedenken vorzeitig abgebrochen. Dennoch war lange unklar, inwieweit sich die Ergebnisse auf andere Bevölkerungsgruppen übertragen lassen. Zwei neuere Studien bestätigen nun erneut, dass Zweifel am Nutzen hoher Vitaminaufnahmen durchaus berechtigt sind.

Tabletten
© chilie

In der Iowa Women’s Health-Studie werden seit 1986 41.836 postmenopausale Frauen beobachtet, die zu Beginn der Studie zwischen 55 und 69 Jahre alt waren. Mit dieser Studie möchte man Aufschluss darüber gewinnen, ob ein Zusammenhang zwischen der Ernährung (hierzu zählt auch die Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln) bzw. den Lebensgewohnheiten und chronischen Erkrankungen sowie der Lebenserwartung bestehen. Ein Ergebnis der Studie wurde vor kurzem in der Zeitschrift „Archives of Internal Medicine“ veröffentlicht. In diese Auswertung gingen die Daten von 38.772 Frauen ein, die über einen Zeitraum von 22 Jahren (1986-2008) beobachtet wurden. Zu Beginn, 1997 und 2004 wurden die Frauen zu ihrer Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln befragt. Bereits 1986 hatten zwei Drittel (66 Prozent) der Probandinnen mindestens ein Präparat eingenommen, im Jahr 2004 waren es sogar 85 Prozent. Dies bedeutet anschaulich, dass nur jede sechste der Befragten kein Supplement einnahm. Jede vierte Teilnehmerin nahm vier oder mehr Präparate ein, meist ohne ärztlich festgestellten Mangel.

Doch die Nahrungsergänzungsmittel waren in vielen Fällen nicht nur unnötig, sondern sogar schädlich, worauf die weiteren Auswertungen hindeuten. Die Einnahme der meisten Nahrungsergänzungsmittel stand mit einem erhöhten Sterberisiko in Verbindung. Bei der Einnahme von Multivitaminpräparaten erhöhte sich das Sterberisiko der Frauen um 2,4 Prozent, bei Zink waren es 3 Prozent, gefolgt von Magnesium (3,6 Prozent), Eisen (3,9 Prozent), Vitamin B6 (4,1 Prozent) und Folsäure (5,9 Prozent). Spitzenreiter war Kupfer mit einer Risikoerhöhung um 18 Prozent. Lediglich ein Nährstoff konnte in dieser Auswertung mit einer längeren Lebenserwartung in Verbindung gebracht werden: Calcium. Als Supplement eingenommen, senkte es das Sterberisiko um 3,8 Prozent.

Für die Aussagekraft der Studie sprechen der große Stichprobenumfang und die vergleichsweise lange Beobachtungszeit. Aufgrund des prospektiven (fortlaufenden) Designs der Studie lassen sich allerdings keine Schlussfolgerungen über die Ursachen ziehen. Führt die vermehrte Einnahme von Supplementen zu einer höheren Sterblichkeit? Oder lässt sich der Zusammenhang zwischen der Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln und dem früheren Versterben zumindest zum Teil darauf zurückführen, dass kränkere Menschen häufiger Nahrungsergänzungsmittel einnehmen und aufgrund ihres allgemein schlechteren Gesundheitszustandes früher versterben? Vielleicht auch trotz der Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln?

In einer weiteren Studie, der sogenannten SELECT-Studie (The Selenium and Vitamin E Prevention Trial), wurde untersucht, ob die gezielte Gabe von Selen (200 µg pro Tag) oder Vitamin E (400 Internationale Einheiten täglich) getrennt sowie in Kombination die Entstehung von Prostatakrebs bei 35.533 Männern aus den USA, Kanada und Puerto Rico verhindern kann. Zu Beginn der Studie waren die Probanden mindestens 50 Jahre alt. Nach einer mittleren Beobachtungszeit von 5,46 Jahren stellten die Wissenschaftler fest, dass weder Selen noch Vitamin E alleine und auch nicht die Kombination der beiden Wirkstoffe Prostatakrebs-Erkrankungen verhindern konnten. Im Gegenteil: Die Teilnehmer der Studie, die Selen oder Vitamin E erhalten hatten, schienen sogar ein erhöhtes Erkrankungsrisiko zu haben: Bei Vitamin E-Einnahme war das Risiko 13 Prozent höher als in der Kontrollgruppe (ohne Vitamin E und Selen), bei Selen-Einnahme waren es 4 Prozent und bei dem Kombinationspräparat 5 Prozent. Diese Ergebnisse waren zwar nicht statistisch signifikant, von einer präventiven Wirkung kann hier dennoch auf keinen Fall gesprochen werden.

Das Fazit? Beide Studien zeigen erneut, dass bei der Einnahme von Vitamin- und Mineralstoffpräparaten Vorsicht angebracht ist. Ein Mangel sollte ärztlich festgestellt und erst dann durch die gezielte Einnahme von Supplementen therapiert werden. In bestimmten Situationen kann es sinnvoll sein, einzelne Vitamine und Mineralstoffe zu supplementieren, beispielsweise Folsäure bei Kinderwunsch und zum Beginn der Schwangerschaft, Calcium bei älteren Menschen oder Vitamin D bei Kleinkindern und immobilen Senioren. Alle anderen können getrost auf Nahrungsergänzungsmittel verzichten. In ihrem Fall ist es sinnvoller, das so gesparte Geld für gesunde Nahrungsmittel im Sinne einer abwechslungsreichen Ernährung auszugeben.

Quellen einblenden

  • The effect of vitamin E and beta carotene on the incidence of lung cancer and other cancers in male smokers. The Alpha-Tocopherol, Beta Carotene Cancer Prevention Study Group. New England Journal of Medicine 1994; 330(15):1029-35.
  • G. S. Omenn, G. E. Goodman, M. D. Thornquist, J. Balmes, M. R. Cullen, A. Glass, J. P. Keogh, F. L. Meyskens, B. Valanis, J. H. Williams, S. Barnhart, S. Hammar (1996): Effects of a combination of beta carotene and vitamin A on lung cancer and cardiovascular disease. New England Journal of Medicine 334(18):1150-5.
  • J. Mursu, K. Robien, PhD; L. J. Harnack, K. Park, D. R. Jacobs (2011): Dietary Supplements and Mortality Rate in Older Women. The Iowa Women’s Health Study. Archives of Internal Medicine 171(18):1625-1633.
  • Universität von Minnesota, Masonic Cancer Center: Prevention and Etiology Research Program: Iowa Women’s Health Study.
  • S. M. Lippman, E. A. Klein, P. J. Goodman, M. S. Lucia, I. M. Thompson, L. G. Ford, H. L. Parnes, L. M. Minasian, J. M. Gaziano , J. A. Hartline, J. K. Parsons, J. D. Bearden, E. D. Crawford, G. E. Goodman, J. Claudio, E.Winquist, E. D. Cook, D. D. Karp, P. Walther, M. M. Lieber, A. R. Kristal, A. K. Darke, K. B. Arnold, P. A. Ganz, R. M. Santella, D. Albanes, P. R. Taylor, J. L. Probstfield, T. J. Jagpal, J. J. Crowley, F. L. Meyskens, L. H. Baker, C. A. Coltman (2009): Effect of selenium and vitamin E on risk of prostate cancer and other cancers: the Selenium and Vitamin E Cancer Prevention Trial (SELECT). Journal of the American Medical Association 301(1):39-51.

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verfasst von am 15. Februar 2012 um 07:45

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